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Hoch motiviert trotz schlechter Arbeitsbedingungen

GEW stellt Studie zur Belastung von Lehrkräften vor

Niedersächsische Lehrer*innen sind höher motiviert und identifizieren sich mehr als andere Berufsgrup¬pen mit ihrer Arbeit, obwohl sie ihre Arbeitsbedingungen, vor allem die Arbeitsintensität und Arbeitszeit, schlechter beurteilen. Dies wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich, ist aber der zentrale Befund der wissenschaftlichen Studie zur Belastung von Lehrkräften, die eine Gruppe von Wissenschaftlern der Georg-August-Universität Göttingen unter Leitung von Dr. Frank Mußmann am 24.10.2016 bei einer Pressekonferenz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen in Hannover vorgestellt hat.


Gleichzeitig gestresst und zufrieden? „Ein wesentlicher Grund liegt in der hohen intrinsischen Motivation: Man ist überzeugt vom Wert der Arbeit und nimmt dafür so manche Widrigkeit in Kauf", erklärt Dr. Frank Mußmann.

An der Studie haben vom 19.2. bis 7.3.2016 2108 Personen, die auch bei der Arbeitszeitstudie registriert waren, teilgenommen. „Die neue Studie bestätigt vieles, was die Lehrkräfte vorher selbst wahrgenommen haben, aber nun ist es auf Grundlage einer wissenschaftlichen Untersuchung ausgewiesen. Entlastung muss prioritär auf die Tagesordnung", kommentiert Laura Pooth, die stellvertretende Landesvorsit¬zende der GEW und verweist auf eine brisante Erkenntnis: Lehrkräfte sind dadurch belastet, dass sie gegen ihre eigenen Ansprüche aus Zeitmangel die Qualitätsansprüche an ihre Arbeit reduzieren. Der Arbeitgeber müsse interessiert sein, dass seine Beschäftigen hochmotiviert bleiben und so gut arbeiten, wie sie können.

„Nach der Arbeitszeitstudie hat die GEW mit der Belastungsstudie nunmehr weitere gute Fakten und Argumente, die wir in die Arbeitszeitkommission des Kultusministeriums einbringen werden, die im November starten soll", freut sich der Landesvorsitzende Eberhard Brandt. An der gezielten Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung führe kein Weg mehr vorbei. Nötig seien aber auch andere Maßnahmen wie der Doppeleinsatz bei Inklusion und großen Klassen mit verhaltensschwierigen Schüler*innen, aber auch Fortbildungen, die für die Weiterentwicklung der Qualifikation und für die Bewältigung der Arbeit hilfreich sind. Außerdem gebe die neue Studie wichtige Hinweise, dass Stärken wie die Kollegialität, offener Diskurs, die Mitentscheidung über die Entwicklung der Schule und ein pflegliches Leitungs¬verhalten ausgebaut werden müssen.

Hintergrund
Wesentliche Ergebnisse bei der Analyse der Arbeitsbedingungen lauten:

  • 85 % sind zufrieden mit der Arbeit, 95 % haben eine außerordentliche Identifikation mit ihrem Beruf.
  • Gleichzeitig liegt die Bewertung der Arbeitsbedingungen bei 94 % im unteren Mittelfeld bzw. beim Ergebnis (sehr) schlechte Arbeit. Grundlage ist dabei der DGB-Index Gute Arbeit, ein seit Jahren anerkanntes Erfassungssystem von Arbeitsbedingungen.
  • Im Index Gute Arbeit schneidet die Arbeitsintensität besonders schlecht ab. Neun von zehn Lehrer*innen erleben oft oder sehr häufig Zeitdruck, drei Viertel müssen Abstriche bei der Qualität der Arbeit machen, um sie zu schaffen. Das machen sie nicht freiwillig: Über 80 % der Lehrkräfte empfinden dieses Runterschrauben als (eher) starke Belastung.
  • Großen Lärm erleben vier Fünftel der Lehrkräfte regelmäßig, auch dies ist ein großer Stressfaktor und nicht einfach wegzustecken.
  • Positiv hervorzuheben ist die starke Betriebskultur: Fast 90 % erleben Kollegialität und Unterstützung. Wo kein gutes Betriebsklima herrscht, ist dies allerdings sehr belastend.

Fazit: Die gegenseitige Unterstützung und der Sinn der Arbeit helfen den Kolleginnen und Kollegen dabei, mit den Rahmenbedingungen klar zu kommen. Auf Dauer gelingt das allerdings nicht: Nur jeder Vierte hält es für wahrscheinlich, ohne gesundheitliche Einschränkungen den Ruhestand zu erreichen.

Die größten Stressfaktoren
Die Göttinger Forscher haben die Belastungsfragen mit den Tätigkeitskategorien der Arbeitszeitstudie verknüpft. Ergebnis: Arbeiten, in denen personenbezogene Entscheidungen gefällt werden, sind die größten Stressfaktoren: Abschlussprüfungen, Korrekturzeiten, Gutachten und Leitungstätigkeiten. Sie bekommen die höchsten Bewertungen, was für hohe Belastungen steht. Auch Konferenzen und Fahrten mit Übernachtung haben hohe Punktzahlen. Kleinere Fallzahlen – also kleinere Klassen – können hier Abhilfe schaffen. Dies hilft dann auch bei anderen großen Belastungen wie Lärm, der Begleitung von schwierigen Schüler*innen oder dem Umgang mit respektlosen Eltern. Diese Faktoren wurden von etwa 80 Prozent der Lehrkräfte als (sehr) belastend angegeben. 69 % der Lehrkräfte sagen generell, dass die Arbeit in großen Klassen besonders anstrengend ist.

Alltag von älteren Lehrkräften: längeres und stressigeres Arbeiten
Eine Stunde weniger unterrichten ab 55 Jahre – diese Maßnahme hat die Landesregierung vor drei Jahren gestrichen. Die Arbeitszeiterhebung und die Belastungsstudie zeigen, dass eine solche Ermäßi¬gung dringend geboten ist. Es gilt: Je älter, desto länger wird die Arbeitszeit. Ab 55 sind mehr als 50 Stunden die Regel. Und es gilt: Je älter, desto größer der Anteil an besonders belastenden Tätigkeiten. Dieser Anteil steigt nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in Relation zu den anderen Tätigkeiten: an Grundschulen von 9 auf 23 Prozent, an Gymnasien und Gesamtschulen von 15 auf 27 Prozent.
Handlungsbedarf aus der Arbeitszeitstudie bestätigt

Die Ergebnisse der Belastungsstudie untermauern die Ergebnisse der Arbeitszeitstudie: Vollzeitkräfte arbeiten am Limit und darüber hinaus, Teilzeitkräfte leisten erhebliche unbezahlte Mehrarbeit, ebenso ältere Lehrerinnen und Lehrer. Die Landesregierung ist in der Pflicht, dringend die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wenn drei Viertel der Lehrer*innen Abstriche an der Bildungsqualität machen müssen, um das Pensum zu schaffen, ist das kein hinnehmbarer Zustand.