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„Frauen (in der) Politik – Was bringt die neue Wahlperiode?“

Unter dem Motto „Frauen (in der) Politik – Was bringt die neue Wahlperiode?“ hatte Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD) anlässlich des Internationalen Frauentags im Frühjahr 2023 in den Landtag eingeladen. Ihre einleitenden Worte galten zunächst Frauen in von Krieg und Unterdrückung geprägten Ländern wie der Ukraine, dem Iran oder Afghanistan. Sie sprach sich für eine feministische Außenpolitik aus, da gleichberechtigte Gesellschaften gerechter und sicherer sind.

Im Fokus stand aber die Situation in Niedersachsen, wo in Fragen echter Gleichstellung auch noch Handlungsbedarf besteht. Der Landtag selbst hat einen Anteil von nur 35,6 Prozent weiblichen Abgeordneten bei mehr als 51 Prozent weiblichen Wahlberechtigten. So stehe in der aktuellen Wahlperiode ein rechtssicheres Paritätsgesetz auf der Agenda, überdies eine Reform des Niedersächsischen Gleichstellungsgesetzes, die Umsetzung der Istanbul-Konvention sowie die Beendigung der ungleichen Bezahlung und der Frauenarmut.

Impulsvortrag

Gleichstellungsminister Dr. Andreas Philippi, mit dem erstmals ein männlicher Minister für Gleichstellung zuständig ist, unterstützte dies in seinem Impulsvortrag: Frauen müssten gleichberechtigt am Willensbildungsprozess wie an der Macht beteiligt werden, um ihre Sicht der
Dinge einzubringen. Die Erwerbs- und Sorgearbeit möchte er mit zielgerichteten Förderprogrammen gerechter verteilen. Dabei ist in Niedersachsen die Unterrepräsentanz von Frauen in fast allen Führungspo-sitionen noch größer als im Bundesdurchschnitt – und geschuldet sei sie einem veralteten Rollenverständnis sowie der ungleichen Verteilung von Sorgearbeit innerhalb der Familien, verschärft noch einmal während der Pandemie. Seine Rede gipfelte in dem Ruf, jetzt müsse „der Turbo gezündet“ werden, Entscheidungen getroffen und Ressourcen bereitgestellt werden.
Im Anschluss moderierte Clara Drammeh eine Podiumsdiskussion mit den frauen- und gleichstellungspolitischen Sprecherinnen der Landtagsfraktionen: Für Jessica Miriam Schülke (AfD) bedeutet Gleich- stellung, dass Männer wie Frauen ihr Leben nach eigenen Wünschen gestalten können. Ihre weiteren Äußerungen lösten allerdings zunehmend Empörung im Publikum aus: Paritätspolitik sei ein Luxusproblem für eine kleine, privilegierte Gruppe, im Zentrum müsse der Schutz von Frauen und Mädchen im öffentlichen Raum vor einer Vergewaltigung durch „junge männliche Einwanderer aus Stammeskultur“ stehen. Eine ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen bei gleicher Arbeit bestritt sie, schuld seien Berufswahl sowie Teilzeittätigkeit von Frauen; politische Maßnahmen sollten allenfalls Männern den Zugang zur Teilzeitarbeit erleichtern. Eine Lösung der Frage, wie man für Frauen kommunalpolitische Tätigkeit verbessern könnte, hatte die Sprecherin nicht. Sophie Ramdor (CDU), Jüngste der Sprecherinnen, konnte zwar einige positive Entwicklungen in Partei wie Gesellschaft in den vergangenen Jahren feststellen, sieht aber noch Handlungsbedarf, wie etwa die anhaltende rollenspezifische Sozialisation von Mädchen und Jungen zeige. Sie wünschte sich lockerere Arbeitszeitgesetze sowie Co-Office-Plätze auf dem Land, wo Frauen gemeinsam arbeiten könnten. Ein Hebel gegen ungleichen Lohn könne in der Offenlegung der Gehälter liegen. Sie widersprach der AfD-Rednerin im Hinblick auf mögliche Vergewaltiger: Die meisten stammten aus dem familiären Umfeld. Geflüchtete Frauen sollten durch Rückzugsmöglichkeiten in den Aufnahme-Unterkünften sowie weibliche Ansprechpersonen und weibliche Security besser geschützt werden. Politische Arbeit für Frauen könnte durch eine strikte Zeitbegrenzung von Sitzungen, die Möglichkeit einer Kinderbetreuung vor Ort sowie hybride Sitzungen erleichtert werden.
Für Dr. Tanja Meyer von den Grünen stellen die Strukturen, bei deren Schaffung Gleichstellung noch keine Rolle gespielt habe, wichtige Hindernisse für die Realisierung von Gleichstellung heute dar. So könne ihre Partei einen Frauenanteil von 62 Prozent aufweisen. Die Beseitigung der Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik sei wichtig, da sonst nur Lösungen für einen Teil der Gesellschaft gesucht und Frauen sich noch weniger beteiligen würden. Die Sicherheit von Frauen und Mädchen sei zu stärken, doch fänden sexuelle Übergriffe vor allem in familiären Situationen sowie in Machtpositionen statt. Die Abgeordnete Schwerpunkte 07 kritisierte auch den Gebrauch des Begriffs „Leistung“ durch die AfD-Sprecherin etwa mit Verweis auf die Care-Arbeit. Warum würden gerade die sozialen, systemrelevanten Berufe so schlecht bezahlt und böten so schlechte Arbeitsbedingungen? Berufliche Karriere müsse sich für alle Geschlechter mit Care-Arbeit vereinbaren lassen, die daraus gewonnenen Kompetenzen seien anzuerkennen. Zum Schluss betonte sie die Selbstverständlichkeit für Geschlechtervielfalt und die auch sehr große Heterogenität innerhalb der Frauen. Hier brauche es Raum, um neue Strukturen zu schaffen und Menschen an den Prozessen zu beteiligen.
Für Dr. Thela Wernstedt (SPD) hat ein Paritätsgesetz politische Priorität. Zum Schutz von Frauen im öffentlichen Raum sollten diese stärker beim Städtebau beteiligt werden, zum Schutz gegen häusliche Gewalt ihre Unabhängigkeit und Machtposition stärken, indem sie ihr Leben dank Studium oder Ausbildung durch Erwerbsarbeit finanzieren könnten, wie auch immer man sich als Paar später die Aufgaben teile. Weil die Berufswahl oft noch traditionellen Bahnen folge, sollte die Politik den Übergang von Schule in den Beruf beziehungsweise in die Ausbildung in den Blick nehmen. Die GEW Niedersachsen wird mit großem Interesse beobachten und begleiten, wie die Landesregierung ihre guten Vorsätze für eine bessere Gleichstellung der Geschlechter bis zur nächsten Landtagswahl umsetzt.


Dr. Barbara Lottermoser
Referat Frauen- und Gleichstellungspolitik im Geschäftsführenden Vorstand