E&W
Spielräume für die Sek II
Eine mutige Oberstufenverordnung für Niedersachsen
In Niedersachsen steht die Überarbeitung der Oberstufenverordnung an – als notwendige Folge der bundesweit geltenden „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung“ vom 16. März 2023 der Kultusministerkonferenz (KMK). Diese Notwendigkeit kann als Chance gesehen werden, denn die aktuelle Oberstufenverordnung ist wie ein altes, längst überfällig gewordenes, nicht zeitgemäßes und noch weniger zukunftsfähiges Korsett; und darum muss sie mutiger, flexibler und offener werden, Spielräume ermöglichen und damit ein anderes Gewand anlegen.
Vor diesem Hintergrund haben sich die betroffenen Fachgruppen der GEW Niedersachsen zu der Veranstaltung „Spielräume für die Sek II – Eine mutige Oberstufenverordnung für Niedersachsen“ in Kooperation
mit der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG), dem Landes-Eltern- und Schüler*innenrat entschieden.
Die Fachtagung wurde als Impulsgeber aus den Schulen und für die Schulen gedacht. Im Zentrum der Veranstaltung standen darum Workshops zu Praxisbeispielen aus sechs niedersächsischen Oberstufen, die bereits Spielräume nutzen und alternative Unterrichts- und Prüfungsformate in der Sek II umsetzen (s. Kasten mit Workshops). Der sehr fundierte inhaltliche Austausch der Anwesenden gipfelte in der Erarbeitung und Zusammenfassung konkreter Forderungen aus den Schulen für eine neue Oberstufenverordnung. Den Rahmen der Veranstaltung bildeten Inputreferate von Prof. Anne Sliwka (Universität Heidelberg) zu veränderten Anforderungen und Grundsätzen zukunftsfähigen Unterrichts und Friedemann Stöffler (Sprecher „Bündnis für ein zukunftsfähiges Abitur“) zu Stellschrauben
einer zukunftsfähigen Oberstufe und bestehenden Möglichkeiten mit den Vorgaben der KMK sowie ein Abschlussgespräch mit Tom Wedrins, der das Kultusministerium stellvertretend für Gesa Johannes, Leiterin des für die Gymnasien und Gesamtschulen zuständigen Referats 33, vertrat.
Rund 140 Personen aus ganz Niedersachsen waren bei der Veranstaltung, darunter viele Sek II-Verantwortliche und Schulleiter*innen. Das Besondere war, dass von Beginn an Tom Wedrins zusammen mit anderen Mitarbeiter*innen aus dem Kultusministerium (MK) dabei war und Hinweise und Forderungen aus der Praxis sichtlich mit Interesse wahrgenommen wurden. Und das wiederum ist von vielen Teilnehmer*innen sowie den Veranstaltungsverantwortlichen sehr positiv honoriert worden. Darum stand am Ende der Veranstaltung ein Gefühl des Aufbruchs im Raum. Was die neue Oberstufenver-
ordnung am Ende wirklich möglich machen wird, kann natürlich nur an dieser selbst gemessen werden.
MK will Korridore gestalten
Tom Wedrins sprach von „Korridoren", die Niedersachsen durch die KMK-Vereinbarung blieben, die sie aber gestalten und nutzen wollen würden. Dabei stellte er durchaus Überlegungen, die einer Flexibilisie-
rung der Oberstufe entgegen kommen würden, vorsichtig in Aussicht; stellte aber auch klar, dass der Prozess erst am Anfang stehe und er darum nichts Konkretes sagen könne. Derzeit sei man Wedrins zufolge noch in der Planung des Entwicklungsprozesses für die neue Oberstufenverordnung, die zum Schuljahr 2027/28 für die Schüler*innen greifen solle, die dann in die Einführungsphase eintreten. Er stellte
aber in Aussicht, dass das MK in die Entwicklung auch die Expertise von Oberstufenkoordinator*innen einfließen lassen wolle. Diese Aussage wurde vom Publikum mit Interesse notiert: Die Expertise ist vorhanden, innovative Ideen ebenfalls – fehlt nur noch die Einladung!
Erwartungen an eine zukunftsfähige, flexible Oberstufenverordnung Friedemann Stöffler stellt klar, dass Flexibilität kein „nice to have“, sondern wesentlich für eine zukunftsfähige Bildung in Deutschland sei, wenn man in der Lage sein wolle, auf Veränderungen – nicht zuletzt durch digitale Möglichkeiten und die Auswirkungen auf unsere Welt – zu reagieren und die Schüler*innen auf die Anforderungen im 21. Jahrhundert vorzubereiten. Demnach müssen laut Stöffler folgende Punkte bei der Gestaltung einer Oberstufenverordnung als übergeordnete Ziele im Fokus stehen:
- mehr Selbstverantwortung von Schüler*innen für ihren Lernprozess,
- mehr Passgenauigkeit in einer heterogener werdenden Schülerschaft und einer sich verändernden Welt,
- die Ermöglichung des bestmöglichen Bildungsabschlusses für alle Jugendlichen,
- die Veränderung der Bildung im Zeitalter der Digitalisierung und
- mehr Eigenverantwortung der Schulen.
Bestehende (Un)Möglichkeiten
Die Erwartungen an eine neue Oberstufenverordnung sind groß und berechtigt, stehen aber den Vorgaben und Auflagen der KMK laut Friedemann Stöffler diametral entgegen. Da, wo von Schulen mehr Flexibilität gefordert wird, steht das Ziel nach Einheitlichkeit der KMK in Bezug auf Zahl und Gewichtung der Klausuren, Zahl der Prüfungsfächer und der Zahl der zu belegenden Kurse im Wege. Friedemann Stöffler spricht von einer „Selbstverzwergung“ der KMK, die sich dafür feiere, sich auf einen Minimalkonsens geeinigt zu haben. Laut Stöffler bedeute dieser in der Konsequenz „weniger Spielraum für Schüler*innen, Schulen und Bundesländer“, der darüber hinaus im Wesentlichen nur wenig Veränderungen zulasse. Das größte Problem sieht Stöffler allerdings nicht in dem, was in den Vorgaben „drin stehe“, sondern in dem, was „nicht drin stehe“. Die Verweigerung der Flexibilisierung der Strukturen, Organisation, zeitlichen Vor-gaben, Belegungsverpflichtungen…auf der einen Seite und das Festhalten an einengenden Vorgaben, im Glauben an eine vermeintliche Vergleichbarkeit, auf der anderen Seite verhinderten Innovation und damit zukunftsfähigen Unterricht.
Trotz der scharfen Worte, die Stöffler für die Entscheidungen der KMK findet, macht er auch Mut, bestehende Lücken unbedingt im Sinne der Schüler*innen und flexiblerer Handhabungen zu nutzen – sowohl