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Baustelle Ausbildung

Eine GEW-Umfrage hat in diesem Jahr großen Reformbedarf bei der Ausbildung von Lehrkräften aufgezeigt. Nun erschien im Mitgliedermagazin „E&W Niedersachsen“ (Ausgabe September/Oktober) ein erläuternder Beitrag dazu, nachdem der Landesverband die Kernpunkte zuvor bereits Mitte August bekannt gemacht hatte.

Die GEW Niedersachsen hat vor den Sommerferien eine Umfrage durchgeführt, um die Meinung der Betroffenen zur Ausbildungssituation von Lehrkräften zu erhalten – insbesondere im Fokus: Kolleg*innen im Vorbereitungsdienst und Berufseinsteiger*innen. Das Ergebnis lässt sich in zwei Schlussfolgerungen zusammenfassen: Der Beruf schlaucht vom ersten Tag an sowie Struktur und Inhalt der Ausbildung müssen auf den Prüfstand.

Die Umfrage zeigt, dass sowohl die psychische als auch die physische Belastung im Vorbereitungsdienst und in der Phase des Berufseinstiegs (zu) hoch ist. Die Ergebnisse reihen sich damit nahtlos ein in die Arbeitszeitstudie für niedersächsische Lehrkräfte, welche die Universität Göttingen 2016 im Auftrag der GEW veröffentlichte und die eine strukturelle, eklatante Mehrarbeit bei den Lehrkräften an Grundschulen, Gesamtschulen und Gymnasien nachweisen konnte (während es für die anderen Schulformen keine repräsentativen Ergebnisse gab). Auf die aktuelle Umfrage antworteten 90 Prozent der Anwärter*innen, dass sie am Wochenende arbeiten, 70 Prozent nachts. In beiden Fällen, weil die Arbeit anders nicht zu schaffen sei. 88 Prozent der Befragten sagten, dass sie gerne mehr Zeit hätten, um ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden zu können. Bei den Berufseinsteiger*innen will die Hälfte in Teilzeit gehen beziehungsweise die Teilzeit ausbauen. Nicht mal jede*r Fünfte im Vorbereitungsdienst beziehungsweise im Berufseinstieg bewertet die Work-Life-Balance gegenwärtig als akzeptabel. Und die Arbeitszeitstudie aus 2016 zeigt, dass dies kein Phänomen für Neulinge ist, sondern dass es nichts mit einer eventuell höheren Belastung am Anfang zu tun hat, die entsteht, weil man mit viel Neuem konfrontiert ist, was erst einmal aufwändig zu leisten ist – und nach einer mehr oder wenigen langen Eingewöhnungsphase wieder vorüber geht. Dessen scheinen sich die Kolleg*innen auch bewusst zu sein, da nur jede*r Sechste der Berufsanfänger*innen sich vorstellen kann, unter den jetzigen Bedingungen bis zum 67. Lebensjahr zu arbeiten.
Dies zeigt, dass dringend Entlastung ins System muss und dass diese Entlastung mitnichten Unterrichtsstunden raubt und die Versorgung noch prekärer macht, sondern dass Entlastung Stunden schaffen wird, weil nur dann mehr Kolleg*innen länger (gesund) im Beruf bleiben
können. Entlastungen sind also nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch im Interesse des Arbeitsgebers, der Eltern, der Schüler*innen und der Wirtschaft.

Angst im Vorbereitungsdienst

Zu der zeitlichen Belastung tritt auch die (permanente) psychische Belastung hinzu: Über 80 Prozent der Anwärter*innen berichten von einem „Praxisschock“, den sie zu Beginn des Vorbereitungsdienstes erlitten – das Studium habe sie zu wenig auf die tatsächlichen Herausforderungen in der Schule vorbereitet. Jede*r fünfte Berufsanfänger*in ist der Auffassung, dass er oder sie durch Studium und Vorbereitungsdienst gut auf das Berufsleben vorbereitet wurde, weitere 50 Prozent sehen sich zum Teil gut vorbereitet. Diese mangelnde Vorbereitung geht einher mit dem latenten Gefühlt der Überforderung im Vorbereitungsdienst (43 Prozent) beziehungsweise als Lehrkraft (58 Prozent). Die Ausbilder*innen sehen auch Defizite in der Ausbildung und berichten selbst davon, dass sie ihre eigenen Ansprüche an eine gute Ausbildung nicht erfüllen können. Unterm Strich führt dies dazu, dass im Vorbereitungsdienst jede*r Dritte häufig oder sehr häufig Angstzustände hat, wenn er*sie an den Vorbereitungsdienst denkt! Unter
den Berufseinsteiger*innen beträgt diese Quote immer noch 11 Prozent. Aber auch hier denkt jede*r Dritte darüber nach, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, beziehungsweise tut dies bereits. Eine solche Belastung ist keinesfalls gesund, ganz im Gegenteil. Es zeigt den dringenden Handlungsbedarf, der beim Weg in den Beruf der Lehrkraft besteht.

Inhalte sind zu hinterfragen

Das dargestellte Empfinden, nicht gut genug vorbereitet worden zu sein, muss den Blick auch auf die Inhalte lenken, die vermittelt werden. Die Umfrage zeigt, dass sich die Hochschulabsolvent*innen in puncto Fachwissen sehr sicher fühlen, bei anderen Aspekten jedoch größere Unsicherheiten eingestehen. Was den unmittelbaren Unterricht sowie die Vor- und Nachbereitung anbelangt, erfolgt ein großer Kompetenzzuwachs im Laufe des Vorbereitungsdienstes, in Fragen der Elternarbeit oder der Interaktion mit Schüler*innen ebenso, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Bei der Frage aber, wie wohl man sich mit dem Thema Inklusion fühlt, offenbaren sich große Defizite: Auf einer Skala von 0 (gar nicht sicher) bis 100 (ganz sicher) lag der Mittelwert bei Anwärter*innen bei 44, bei Berufseinsteiger*innen nur bei 37. Auch die Ausbilder*innen sagen hier, dass wesentlich mehr möglich wäre. Fragt man nach, wie
es um die Demokratiebildung steht, sehen die Werte nicht viel besser aus, bei den Anwärter*innen bei 51, beim Berufseinstieg bei 53. Man kann nicht erwarten, dass durch Berufserfahrung hier ein eklatanter Anstieg erfolgen wird. Gerade bei solch zentralen Themen müssen die Kolleg*innen von Anfang an fit gemacht werden.

Hoch motiviert, hoch belastet

Wie bei der Arbeitszeitstudie für Lehrkräfte 2016, so auch bei der Sommerumfrage für Ausbildung und Berufseinstieg 2023: Über 80 Prozent der Anwärter*innen und der neuen Lehrkräfte machen ihre Arbeit gerne. Sie sind überzeugt von dem, was sie tun, und haben eine hohe intrinsische Motivation, die sie durch die Widrigkeiten der Rahmenbedingungen trägt. Das Betriebsklima wird ebenso im Allgemeinen positiv bewertet, was stützend wirkt.
Die Landesregierung darf sich aber nicht auf diese Leidensfähigkeit der Lehrkräfte verlassen und dringend notwendige Verbesserungen aufschieben. Eine gute Ausbildung kann dazu beitragen, Stress zu mildern und gesund in den Beruf zu starten. Und der Arbeitgeber ist in der Pflicht, Lehrkräfte gut auszubilden und ein Arbeitsumfeld anzubieten, das es ermöglicht, gesund zu bleiben. Bis das erreicht ist, bleibt es noch ein weiter Weg.