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Der Weg aus der Bildungskrise führt nicht über weitere Belastung der Beschäftigten!

Im Anschluss an das "Dialogforum zur Lehrkräftegewinnung und Perspektiven für die Grundschule", das am 13. März 2023 vom Kultusministerium Niedersachsen durchgeführt wurde, lud die GEW Region Hannover zu einer Lehrkräftevollversammlung ein. Dieser vorangegangen war eine Lehrkräfteumfrage. Fast 1000 Kolleg*innen an Schulen in der Region Hannover nahmen daran teil. Sie zielte darauf ab zu erfragen, welche Aufgaben von Lehrkräften besonders belastend sind. Über alle Schulformen hinweg sind das Konferenzen/Dienstbesprechungen, die Einzelfallbetreuung von Schüler*innen und Unterrichtsstörungen.

Ergänzend zu den Umfrageergebnissen gab es Berichte von Lehrkräften, die gebeten worden waren vor dem Publikum ihren Arbeitsalltag zu beschreiben. Übereinstimmend lässt sich festhalten: Die Diversität der Lerngruppen lässt es nicht zu, allen Schüler*innen gerecht zu werden. Ein Grundschulkollege sprach davon, dass dies zwangsläufig jeden Tag dazu führe, individuellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Kinder nicht nachkommen zu können.

Kleinere Klassengrößen, geringere Stundenverpflichtung und Entlastungsstunden waren die ersten drei gewählten Optionen, von denen sich Lehrkräfte schnelle und deutliche Entlastungen versprechen. „Das widerspricht an den ersten beiden Punkten völlig den SWK-Empfehlungen“, so Katja Wehrend, Kreisvorsitzende der GEW Region Hannover.

Die SWK hatte vorgeschlagen, Lerngruppen zu vergrößern an Stellen, wo das möglich sei und die Möglichkeit der Teilzeitarbeit zu begrenzen, um ein höheres Potenzial an qualifizierten Lehrkräften auszuschöpfen. Im Rahmen der Auswertung der Arbeitszeitstudie der GEW Niedersachsen 2015/16 spricht die GEW von einer „Teilzeitfalle“. Kolleg*innen reduzieren ihre Arbeitszeit, weil sie bei einer Vollzeitstelle ihren eigenen Ansprüchen an ihre Profession nicht gerecht werden können. Sie nehmen eine geringere Bezahlung in Kauf, die sich auch auf die zukünftige Rente/Pension auswirkt. Dabei wissen sie genau, dass sie tatsächlich mehr Stunden arbeiten, als sie nach Teilzeitschlüssel müssten. „Neben dem Grund der Sorge- und Pflegearbeit wird die eigene Gesunderhaltung angegeben, warum Kolleg*Innen sich in die Teilzeit ‚flüchten‘“, so Wehrend.

Unter dem Strich lässt sich nach der Vollversammlung festhalten: Jedem Fachkräftemangel lässt sich nicht durch noch schlechtere Arbeitsbedingungen begegnen. Das ist auch in Schulen ganz einfach so. Die Kultusministerin Julia Hamburg sprach von einer demografischen Rendite. Schulen und Bildung waren politischen Entscheidungsträger*innen hingegen nicht genug wert, um diesen Bereich ordentlich auszufinanzieren. 

_________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________Der Unterrichtsalltag eines Grundschullehrers
Bericht auf der LehrkräfteVollversammlung der GEW Region Hannover am 13. März 2023

Die erste Entscheidung bevor ich eine Klasse betrete ist die, welche der Lerngruppen ich zuerst vernachlässigen werde. In der 3. Klasse befinden sich neben den „Normalos“ noch 2 Schüler mit starken emotionalen Problemen, zwei Schüler*innen mit Förderbedarf Lernen, wobei einer von ihnen aufgrund seiner autistischen Störung bei normaler Intelligenz die Buchstaben noch nicht beherrscht, also weder lesen noch schreiben kann. Außerdem vier Kinder mit nur rudimentären Deutschkenntnissen und zwei aus der Ukraine, die gar kein Deutsch sprechen, eines davon schwer traumatisiert.

Heute entscheide ich mich dafür, erst einmal die „Normalos“ mit Arbeitsaufträgen zu versorgen, dann die Kinder mit Sprachdefiziten mit ihren DaZ-Materialien. (DaZ= Deutsch als Zweitsprache). Zum Schluss meine beiden Förderkinder. Leider haben die aber ihre Materialien nicht dabei, ich muss also in Windeseile improvisieren. Inzwischen stehen 6 „Normalos“ vor mir, die leider nicht aufgepasst haben und nicht wissen, was sie tun sollen. Während ich versuche denen das schnell zu erklären, fangen die ukrainischen Kinder an, sich auf Russisch zu unterhalten, einer der beiden Jungen mit emotionalen Problemen rennt durch die Klasse und spielt den Clown, die Kinder, die gearbeitet hatten, werden abgelenkt und lachen. Der Autist fängt an, Papier zu zerreißen und durch die Klasse zu werfen. Ich bin alleine und weiß, dass ich mit der Konjugation von Verben nicht weit kommen werde.

Wenn ich lese, dass Viertklässler*innen die erforderten Kompetenzen in Lesen und Schreiben nicht erreichen, denke ich mir: Klar, wie auch?

Eigentlich habe ich hohe Ansprüche und gehe in den Unterricht, dass alle Schüler*innen, die über die kognitiven Kapazitäten verfügen, am Ende unserer gemeinsamen Schulzeit über ein sicheres Basiswissen über den Umgang mit der deutschen Sprache verfügen. Und ich habe ein schlechtes Gewissen.

Wir sollen für die Kinder eine entspannte Lernatmosphäre schaffen. Wie sollen wir das bitte tun, wenn uns selber das Wasser bis zum Hals steht?

Als ich Ende der Neunzigerjahre angefangen habe mit Zwangsteilzeit, war für mich klar, so schnell wie möglich auf Vollzeit aufzustocken, was ich dann auch tat. Ich bin gesund und arbeite gerne mit den Schüler*innen. Jetzt, mit 57 Jahren, musste ich mir eingestehen, dass ich das unter den Gegebenheiten nicht mehr schaffe, ich musste reduzieren und hatte großes Glück, dass dies bewilligt wurde. Sonst wäre ein Burnout unvermeidlich gewesen. Junge Kolleg*innen meinten dazu, sie hätten sich sowieso gefragt, wie ich das überhaupt schaffe. Ich war nämlich einer von dreien im gesamten Kollegium, der in Vollzeit arbeitete. Bei dem Gedanken, dass geplant ist, die Bewilligung von Teilzeit zu erschweren, wird mir ganz flau im Magen. Da sind massive, krankheitsbedingte Ausfälle vorprogrammiert. Ich wüsste auch nicht, wie ich das noch zehn Jahre durchhalten sollte.

Wir brauchen dringend Entlastung. 28 Stunden Unterricht sind nicht zu bewältigen unter diesen Rahmenbedingungen. Wir brauchen Doppelsteckungen und Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen. Wir brauchen für die gravierenden Fälle Schulbegleiter*innen, die über die erforderlichen Kompetenzen verfügen.

Ist wirklich von Seite der Entscheidungsträger*innen angedacht, dass Schüler*innen mit Förderbedarf Lernen oder Emotionale Störungen in der Statistik nicht mehr doppelt gezählt werden sollen? Das hielte ich für unverantwortlich, da es eine gravierende Verschlechterung der Unterrichtsversorgung nach sich zöge. Das grenzte schon fast an Sabotage.

Wie lange dauert schon die leidige Diskussion über die Angleichung des Gehalts von Grundschullehrer*innen auf A13? Ich kann die Jahre nicht mehr zählen.

Ich brauche keine Geschenke und will keine Geschenke.

Ich will eine Anerkennung und Wertschätzung meiner Arbeit.

Nicht mehr und nicht weniger.