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Die IGS Isernhagen ist von Beginn an eine Schule im Aufbruch

Ein Interview mit Sophie Hormann und Melanie Edeling von der IGS Isernhagen ~ IGS Isernhagen, Gründung 2016, Jg. 5-10, Schulleiter: Jens Könecke ~ Bei Sekundarabschluss II ist ein Wechsel zur Oberstufe möglich ~ Teilgebundene Ganztagsschule, Schüler*innenzahl: 600 ~ Schwerpunkte: Schule im Aufbruch, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Projekt Verantwortung, Arbeit mit Tablets im Unterricht, vielschichtige AG-Angebote

Werner Fink: „Schule im Aufbruch“ ist eine Initiative, die Schule verändern will. Unsere Schulen zeigen, dass bereits Kinder und Jugendliche zu aktiven Gestalter:innen unserer Gesellschaft werden können, wenn ihnen ausreichend Raum geboten wird, ihre angeborene Begeisterungsfähigkeit und Kreativität zu erhalten und zu fördern. Wir begleiten Schulen in ihrem Transformationsprozess hin zu einer solchen Lernkultur, die sich durch Vertrauen, Wertschätzung, Beziehung, Verantwortung und Sinn auszeichnet“ (Netzwerk SiA). Seit wann ist ihre Schule in dem Netzwerk, welche konkreten Schritte sind Sie seit Ihrer Gründung 2016 gegangen, um eine neue Lernkultur zu entwickeln, oder sind sie 2016 gleich mit grundsätzlich innovativer Lernkultur gestartet?

Sophie Hormann/Didaktische Leiterin: Gestartet ist die IGS Isernhagen gleich zu Beginn mit innovativer und digitaler Lernkultur, d.h. mit Lernbüros in Deutsch, Englisch, Mathe, Nawi, GSL, IPads für alle Schüler:innen und Projektunterricht. Modifizierungsprozesse fanden im Laufe der Jahre statt, zum Beispiel, dass GSL wieder im Klassenverband unterrichtet wird und im ersten gemeinsamen Jahr in Jahrgang 5 Englisch ebenfalls zunächst im Klassenverband stattfindet. Das resultiert aus Erkenntnissen und Erfahrungen mit der neuen Lernform und kritischer Evaluation. Auch derzeit evaluieren wir in einer Arbeitsgruppe die Arbeitsprozesse, Effizienz und Zufriedenheit der Lernbüroarbeit. Netzwerkschule sind wir seit 2017.

Werner Fink: Wesentliche Elemente Ihres reformpädagogischen Ansatzes sind Bausteine wie das Lernbüro, das Logbuch, Freitagsgespräche, der wöchentliche Projekttag, das Projekt „Verantwortung sowie die Vollversammlung. Ein Stundenplan zeigt, dass es morgens eine Wochenleiste Lernbüro mit den Fächern Deutsch, Naturwissenschaften, Mathematik und Gesellschaft gibt und auch noch einmal eine Wochenstunde Lernbüro 2.

Sophie Hormann: Nicht ganz. Grundsätzlich beginnt für die Jahrgänge 5-7 der Tag mit den Lernbüros Deutsch, Englisch (ab Jg. 6), Mathe und NaWi. Ab Jahrgang 8 liegen die Lernbüros im zweiten Band (3.-4. Stunde). GSL wird im Klassenverband unterrichtet. Hinzukommen zwei weitere Lernbürostunden, die unser Stundenplaner individuell für die Jahrgänge in den Stundenplan baut, sowie das Lernbüro Plus, bei dem eine Doppelsteckung realisiert wird. Ziel sollte eine gute personelle „Ausstattung“ in den Lernbüros sein, um möglichst individualisierend arbeiten zu können. Während der Logbuchgespräche freitags in der sogenannten „Lernzeit“, arbeiten die SuS ebenfalls an ihren Lernbüros weiter.

Werner Fink: Viele Leser:innen haben vom Lernen im Lernbüro zwar gehört, können sich das aber nicht genau vorstellen. Bitte erläutern Sie dieses Konzept mit ihren neuen Lernpfaden einmal genauer.

Melanie Edeling/Öffentlichkeitsarbeit: Die Lehrkräfte erstellen in ihren Fachteams sogenannte Lernpfade zu einer Lerneinheit mit drei unterschiedlichen Niveaustufen. Eine zusätzliche Niveaustufe gibt es für Schüler:innen mit besonderem Förderbedarf. In einem im gemeinsamen Gespräch zwischen Lehrkraft und Schüler:in wird eingangs im 5. Jahrgang besprochen, wie SuS ihre Leistungen in dem jeweiligem Lernbürofach einschätzen, sodass auf entsprechendem Lernniveau gearbeitet werden kann, wobei Wechsel unkompliziert und nach Rücksprache mit der Fachlehrkraft frei möglich sind. Lernpfade werden digital bereitgestellt und sind vergleichbar mit einem Wochenplan, stehen jedoch für eine komplette Einheit, versehen mit digitalen Links (Lernvideos, Lern-Apps) und digitalen Arbeitsblättern. In einem Lernpfad sind auch kooperative Lernformen enthalten und oft sind die Lernpfade ausgerichtet an digitalen Lehrwerken, aber eben bereichert und modifiziert. Die Schüler:innen arbeiten dann eigenverantwortlich: Umfang und Tempo bei der Arbeit an den Lernpfaden bestimmen SuS selbst. Das Lernbürofach soll ebenso eigenverantwortlich gewählt werden, jedoch wird im Freitagsgespräch anhand der Logbucheinträge „kontrolliert“ und besprochen, ob die Lernenden ihre Besuche entsprechend den grundsätzlichen Vorgaben gut organisieren und gut mitarbeiten. Auch durch den kollegialen Austausch in Jahrgangsteams stehen die Schüler:innen unter „Beobachtung“ der Lehrkräfte. Gearbeitet wird in den Lernbüros, die Räumen zugeteilt sind. Die Lehrkraft ist Lernbegleiter/Coach, d.h. er beobachtet und greift „potentialentfaltend“ und regulierend ein, wenn nötig als Fachlehrkraft oder als Klassenlehrkraft. Dies geschieht positiv stärkend und motivierend im Freitagsgespräch bei der Besprechung der Logbucheinträge während der „Lernzeit“. Das Konzept der Lernbüros ersetzt die früher übliche Form des Klassenunterrichts, ähnelt einer Mischung aus Freiarbeit und Wochenplanarbeit. Die Rolle der Klassenlehrkraft ändert sich insofern, als eine intensive Begleitung vor allem während der Freitagsgespräche stattfindet, denen ein enger Austausch mit den Jahrgangslehrkräften zugrunde liegt.. Eine „Wissensüberprüfung“ erfolgt durch individuelle Beobachtungen und Zusammenarbeit der Fachlehrkraft mit den Schüler:innen, durch Einsicht in abgegebene Lernpfade, durch teilweise zu Beginn und Ende des Lernbüros ritualisierte und gelenkte Unterrichtsphasen und durch klassische Klassenarbeiten. Trotz aller „Innovation“ halten auch wir uns an Standards und ministeriale Vorgaben. Wir versuchen sie allerdings flexibler und zeitgemäßer anzuwenden. Ein kurzer Einblick in die Arbeit der Lernbüros bieten verschiedene Videos auf unserer Homepage.

Werner Fink: Noch man nachgefragt, Welche veränderte Rolle hat der/die Klassenlehrerin?

Melanie Edeling: Der Aufbau des Unterrichts in klassische Unterrichtsphasen fällt in den Lernbüros aufgrund des individualisierten Lernens z.T. weg, Die Lehrkraft „orchestriert“ Wissensvermittlung nicht mehr als „klassischer Dirigent“, sondern übergibt mit den Lernpfaden das Aneignen des Wissens an die Schüler:innen. Die Lehrkraft stellt sich auf die Schüler:innen und deren Wissensstand in jeder Lernbürostunde individuell ein und gibt nicht mehr den Rahmen minutiös vor; sie fungiert als Lernbegleitung. Die Klassenlehrkräfte sind weiterhin Ansprechpartner der jeweiligen Klasse, arbeiten immer in Zweier-Teams, begleiten Schüler:innen bei der individuellen Lernentwicklung in optimaler Weise von der 5. bis 10. Klasse. Sie stehen im engen Austausch mit deren Eltern, dies geschieht z.B. In den halbjährlich stattfindenden, verpflichtenden Lernentwicklungsgesprächen und während den wöchentlichen Freitagsgesprächen. Ein enger Austausch erfolgt mit den Kollegen und Kolleginnen in Jahrgangsteams, die freitags nach Unterrichtsschluss stattfinden. Optimaler Weise arbeitet einer der Klassenlehrer:innen auch in einem Lernbüro im Jahrgang und unterrichtet die Klasse darüber hinaus in einem Fach, welches im Klassenverband unterrichtet wird, z. B. in Sport, Projekt, GSL oder Kunst. Der Klassenrat findet ebenfalls in Beisammensein mit den beiden Klassenlehrkräften statt.

Werner Fink: Kommt durch das Lernen in Lernbüros der kommunikative Austausch nicht zu kurz, z. B. das Diskutieren über eine politische Frage oder eine Kurzgeschichte?

Sophie Hormann: Als „Coach“ kann die Lehrkraft auch Gesprächsphasen vorgeben, bzw. ermöglichen, wenn das nötig und angebracht ist – außerdem beinhalten Lernpfade auch Aufgabenstellungen, in denen Schüler:innen aufgefordert sind, Sachverhalte oder Fragestellungen miteinander zu besprechen und zu diskutieren. An so einer Kleingruppendiskussion kann sich eine Lehrkraft - lenkend und bereichernd - beteiligen. Aber genau diese Fragestellung führte dazu, dass, wie erwähnt, GSL nicht mehr im Lernbüro stattfindet, da der Diskussionsanteil in diesem Fach im Vordergrund steht und aus unserer Sicht eine feste Lerngruppe voraussetzt, die thematisch auf demselben Stand ist.

Werner Fink: Sind an den Lernstationen die Klassen aufgelöst?

Melanie Edeling: Ja, durch die freie Wahl des Lernbüros.

Werner Fink: Schüler*innen müssen sich nicht nur Stoff aneignen, sondern ihre Lernprozesse auch selbst organisieren. Wie werden Schüler*innen, die diese Doppelaufgabe nur schwer meistern können unterstützt?

Melanie Edeling: Sie werden besonders in den Blick genommen und mehr „gecoacht“ als Schüler:innen, denen diese Doppelaufgabe leichter fällt. Das ist bei uns genauso wie im klassischen Unterricht. Auch dort erfordern besonders fordernde Schüler:innen meine besondere Aufmerksamkeit, wenn ich als Lehrkraft bestrebt bin, dass meine SuS den Anforderungen gerecht werden sollen.

Werner Fink: Unserer Leser*innen wird noch interessieren, wie ihr Lernen in ihren Projektformen organisiert ist und was ihr Wahlunterricht beinhaltet.

Sophie Hormann: Unser Projektunterricht beinhaltet zwei feste Stunden, also 90 Minuten für jede Klasse in der Woche. Der Projektunterricht orientiert sich in der Regel an praktischen Inhalten und ist inhaltlich und thematisch fächerübergreifend konzipiert. Im Klassenverband wird an vorgegebenen Projektthemen frei und ohne Bewertungsdruck gearbeitet. Unser Projektunterricht wird also nicht bewertet oder zensiert. Schwerpunkte des Projektunterrichts kommen z.B. aus den Bereichen Nachhaltigkeit (Upcycling-Projekte) oder Demokratiebildung (Juniorwahlen). Innerhalb der Themen arbeiten die Schüler:innen frei an eigens gesetzten Schwerpunkten.

Der Wahlpflichtunterricht besteht an der IGS Isernhagen aus den 5 Profilen: 2. Fremdsprache (Französisch und Spanisch), Zukunft und Arbeit, Natur und Technik, Kreativ sowie Gesundheit und Bewegung. Innerhalb der vierstündigen WPK gibt es verschiedene Module, die je nach Jahrgang oder Lehrkraft umgesetzt werden. So gibt es z.B. im WPK kreativ künstlerische, musikalische oder künstlerisch-darstellende Module, die am Ende beispielsweise in einer Musicalinszenierung münden.

Werner Fink: Inwiefern fließen die Ergebnisse ihrer zahlreichen Lernformen in ihre Lernentwicklungsberichte ein, bzw. dann ab Jg. 9 in Zensuren, die dem herkömmlichen IGS-Fächerkanon entsprechen.

Sophie Hormann: Bis Ende der 8. Klasse gibt es Lernentwicklungsberichte, die nicht nur eine Beurteilung der erreichten Kompetenzen auf vier Beurteilungsebenen „ve“ (voll erreicht) bis „ne“ (nicht erreicht) beinhalten, sondern auch Raum für individuelle Bemerkungen der Lernentwicklung in jedem Fach geben. So bekommt jede Schülerin/jeder Schüler eine individuelle Rückmeldung zum Fach über die Arbeit sowie Hinweise zur Weiterarbeit. Unter den allgemeinen Bemerkungen werden Projekte und Engagement der Schüler:innen aufgeführt.

Werner Fink: Wie ist ihr Eindruck, Sie erwähnten auch schon Evaluationen: Führen die neuen Lernformate zu höherer Lernmotivation bei Schüler:innen und auch höherer Zufriedenheit bei Lehrer:innen, als es bei traditionellem Lernen der Fall ist?

Melanie Edeling: Unsere Schüler:innen schätzen die Freiheit und Individualisierung beim Lernen sehr und fühlen sich durch die gute Lehrer-Schüler- Beziehung gesehen, ernstgenommen und gut aufgehoben. Auch Eltern schätzen das. Unsere Schüler:innen können autonom arbeiten, was bewiesenermaßen die Motivation fördert. Die SuS vermitteln uns das Gefühl, dass sie lernen und sich weiterentwickeln wollen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Gleichzeitig übernehmen sie ggf. aber auch Verantwortung für eine mangelnde Leistungsbereitschaft, was nicht nur im Unterricht, sondern auch in den Freitagsgesprächen und in den Lernentwicklungsgesprächen thematisiert wird. Die Atmosphäre an unserer Schule ist zwischen Lehrkräften und Schülern sehr gut, so dass vermutlich auch die Lehrkräfte zufrieden sind. Die Arbeit nach unserem Konzept erfordert jedoch ein hohes Maß an Arbeitseinsatz, was die Zufriedenheit beizeiten auch trüben kann. Unsere derzeitig laufenden Evaluationen stehen in dem Zusammenhang, das Lernbüro stetig zu verbessern. Wir erhoffen uns genauere Antworten auch auf die zuletzt gestellten Fragen und das Finden von Ansätzen, um unser Konzept insgesamt weiter zu optimieren.

Werner Fink: Haben Sie ganz herzlichen Dank für ihre Zeit und Mühe, die Sie sich für diesen Beitrag genommen haben. Ich möchte abschließend noch auf ihre regelmäßig stattfindenden Vollversammlungen erwähnen, was darauf verweist, dass sie demokratisches Zusammenleben und Schüler:innenorientierung sehr ernst nehmen. Weiterhin viel Erfolg.