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Politische Neutralität

Politische Bildung ist nicht neutral - auch nicht in Schule!

Von der sogenannten Neutralität, der Mäßigung und Pflicht, die Verfassung zu verteidigen

Seit Jahren hält sich der Trugschluss, Lehrkräfte dürften sich im Unterricht nicht kritisch mit Parteien auseinandersetzen oder ihre Meinung äußern. Die AfD versucht seit Jahren, gezielt mit Meldeportalen wie neutrale-lehrer die Deutungshoheit über die Definition von Neutralität in Schule zu gewinnen und damit kritische politische Bildungsarbeit zu verhindern.

Leider zum Teil erfolgreich: Die Unsicherheit bezogen auf die sogenannte Neutralität von Lehrkräften in Schule sowie die sachlich falsche Darstellung des Neutralitätsgebotes halten sich sowohl in der öffentlichen Debatte als auch bei den Lehrkräften und Beschäftigten in Schule. Dabei hat sich seit Jahrzehnten an der Bedeutung und den Implikationen nichts verändert. Politische Bildung hat einen Auftrag und der ist nicht neutral. Wir sind in Demokratien darauf angewiesen, bestimmte Werte wie Pluralismus, Minderheitenschutz, Rechtsstaatlichkeit und Menschen- rechte zu teilen (vgl. JoDDiD). Verändert hat sich jedoch die Debattenkultur, die sowohl im öffentlichen als auch im virtuellen und privaten Raum nicht mehr klar zwischen Fakten, „fake news“ und Meinungen trennt.

Neutralität und Mäßigung

Das sogenannte Neutralitätsgebot ist ein wesentlicher Grundsatz des Beamtentums, der im Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) § 33 (1) und (2) und im Bundesbeamtengesetz (BBG) § 60 (1) und (2) sowie in den jeweiligen Landesgesetzen neben der Mäßigung und Verfassungstreue als Grundpflicht verankert ist. Die Paragraphen sind im Wortlaut gleich und schreiben folgende Pflichten für Beamt*innen und damit auch für verbeamtete Lehrkräfte fest:

„(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.“ (BBG § 60 (1) und (2), BeamtStG § 33 (1) und (2) sowie NBeamtStG § 33 (1) und (2)).

Für tarifbeschäftigte Lehrkräfte gelten übrigens die gleichen Pflichten; sie sind im Tarifvertrag der Länder (TV-L) in § 3 als Allgemeine Arbeitsbedingungen formuliert. Lehrkräfte müssen also nicht im semantischen Sinne neutral sein; das dürfen sie auch nicht, da sie für das Grundgesetz und die darin festgeschriebenen Menschenrechte einstehen müssen. Und die sind nicht neutral. Sie geben einen klaren werteorientierten Codex vor. Lehrkräfte müssen also demokratiefeindlichen, rassistischen, antisemitischen, frauenfeindlichen und transgenderfeindlichen Äußerungen klar widersprechen und sie müssen sich klar positionieren. Und Schweigen ist in diesem Sinne nicht neutral. Lehrkräfte sind verpflichtet, sich bei politischer Betätigung in und außerhalb der Schule zu mäßigen und zurückzuhalten. „Danach dürfen Lehrkräfte in den Schulen keine Werbung für wirtschaftliche, politische, weltanschauliche und sonstige Interessen betreiben“ (Camilla Plath).

Das bedeutet aber nicht, dass sie kritische und politische Themen im Unterricht nicht behandeln oder sich selbst nicht dazu positionieren dürfen. Ganz im Gegenteil, sie müssen das in einem bestimmten Rahmen sogar, um dem Bildungs- und Erziehungsauftrag gerecht zu werden und Grundsätzen der politischen Bildung, die im Beutelsbacher Konsens1 formuliert sind, gerecht werden zu können.

Beutelsbacher Konsens

Dass Schule kein politisch neutraler beziehungsweise wertneutraler Raum ist, wird deutlich, wenn man den Bildungs- und Erziehungsauftrag in § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes liest: Konkret sollen die Schüler*innen lernen, „– die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen, – nach ethischen Grundsätzen zu handeln sowie religiöse und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten, – ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten, (…) – Konflikte vernunftmäßig zu lösen, aber auch sie zu ertragen, – sich umfassend zu informieren und die Informationen zu nutzen, (…)“ (Nds. Schulgesetz § 2 (1)). Schule ist also dem Erlernen, Erleben und Bewahren demokratischer Werte und Haltungen verpflichtet. Diesen gesetzlich verankerten Anspruch als Bildungs-und Erziehungsauftrag umzusetzen, ist Aufgabe aller Akteur*innen in Schule. Welche Grundsätze für die politische Bildung und die unterrichtliche beziehungsweise schulische Auseinandersetzung mit politischen Themen zu beachten sind, ist im Beutelsbacher Konsens formuliert (siehe vollständigen Text im Kasten):

  1. Indoktrinations-/Überwältigungsverbot,
  2. Kontroversitätsgebot,
  3. Schüler*innenorientierung.

„Diese Regeln fordern jedoch in keiner Weise eine Wertneutralität“ (SVBl 5/2025, S. 290). Sie erfordern aber eine klare Haltung, ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und die Reflexion der eigenen Haltung sowie des eigenen Handelns im Unterricht und in Schule. Lehrkräfte dürfen also ihre Meinung im Unterricht äußern, müssen diese aber klar als eigene Meinung kennzeichnen und darauf hinweisen, dass es auch andere Positionen gibt. Sie müssen widersprechen, wenn Grundwerte der Verfassung angegriffen werden und diskriminierend oder diskreditierend gesprochen oder gehandelt wird. Die große Herausforderung ist dann der weitere pädagogische Umgang im Unterricht beziehungsweise in Schule im Sinne des Bildungs- und Erziehungsauftrags.

Demokratische Haltung nötig

Die Arbeit mit jungen Menschen in Schule fordert Haltung und Zivilcourage. Es ist aber trotzdem nicht so einfach; denn wie weit reicht es mit dem Pluralismus? Wie gehe ich mit rassistischen Äußerungen um, wie mit revisionistischen oder anderen? Antworten auf viele dieser Fragen findet man im Schulverwaltungsblatt 5/2024 im Aufsatz „Zivilcourage und demokratisches Handeln im Klassenzimmer – Orientierung für engagierte Schulen in bewegten Zeiten Teil 2: FAQ – Antworten auf die häufigsten Fragen zur Rolle von Politik in der Schule und zu rechtssicherem Handeln.“ Aber es muss klar sein, dass, wenn im Klassenraum eine falsch verstandene Neutralität gelebt wird, die Amtspflichten verletzt werden und potentiellen antidemokratischen Strukturen Vorschub geboten wird. Der Klassenraum beziehungsweise die Schule muss ein Ort sein, an dem Debatten geführt werden, um Debatten führen und andere Meinungen aushalten zu können. Es braucht das Ringen um gemeinsame Lösungen und Kompromisse, auch wenn es manchmal unmöglich scheint. Die Grenze der Pluralität muss aber ganz klar da gezogen werden, wo Demokratie und Menschenrechte in Frage gestellt oder angegriffen werden, Meinungen als Fakten oder „fake news“ als Meinungen verkauft werden.

 

Quellen und Literaturempfehlungen: www.gew-nds.de/euw/neutral