E&W
Die Rolle digitaler Medien aus inklusiver Perspektive
UNESCO-Bericht zeigt: Technologie als Werkzeug in der Bildung muss chancengerecht und reflektiert eingesetzt werden.
Der neue Weltbildungsbericht mit dem Titel „Technologie in der Bildung: Ein Werkzeug – zu wessen Bedingungen?“ wurde am 27. November 2023 von der Deutschen UNESCO-Kommission im Auswärtigen Amt in Berlin vorgestellt. Die Präsentation des Weltbildungsberichts 2023 mit dem Schwerpunkt „Technologie in der Bildung“ fällt in eine Zeit aktueller und intensiver Diskussionen über die Herausforderungen, Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz auch für den Bildungsbereich. Sie schließen an die anhaltenden Debatten über digitale Bildungsangebote an, die in besonderem Umfang während der pandemisch bedingten Schulschließungen in den Schulen eingeführt und entwickelt wurden. Die Diskussionen reichen dabei von Problemen der Zugänglichkeit und des Umgangs bis zu grundsätzlichen demokratischen Fragestellungen:
- Wer hat die Kontrolle über die digitalisierten Informationen?
- Erweitern sie oder schränken sie Handlungsmöglichkeiten Einzelner ein?
- Werden Unterschiede in den Lernbedingungen verringert und ausgeglichen oder Ungleichheiten gesteigert?
- Welche Folgen hat das kommerzielle Interesse an der Verbreitung der Medien?
- Sind die Menschenrechte, das Wohlbefinden, die Sicherheit und die Privatsphäre von Lernenden und Lehrenden geschützt?
Werkzeug statt Allheilmittel
Mit dem Weltbildungsbericht liegt ein umfangreicher und differenzierter Zwischenbericht über die Rolle von digitalen Medien in der Bildung vor, der sich auf das Erreichen der Bildungsziele für 2030 bezieht. Auf die vielen Fragen und Probleme in den intensiven Debatten wird Bezug genommen und die Chancen und Risiken des technologischen Fortschritts werden ausgewogen und differenziert betrachtet. Es fehlt nicht an Hinweisen auf die Gewährleistung notwendiger Rahmenbedingungen: die entsprechende Vorbereitung der Lehrkräfte, die Qualitätskontrolle der digitalen Medien, der didaktisch fundierte Einsatz, die Aneignung digitaler Kompetenzen durch die Lernenden, der verantwortliche Einsatz einschließlich Schutz vor negativen Einflüssen, die Berücksichtigung der langfristigen Kostensituation bei der Anschaffung. Zuzustimmen ist der Auffassung, dass hier nicht ein Allheilmittel, sondern ein Werkzeug vorgestellt wird, das seine Wirksamkeit erst bei verantwortlichem Einsatz entfaltet und das letztlich zur Ergänzung der sozialen Interaktion und nicht als Selbstzweck einzusetzen ist. Technologie ersetzt nicht die persönliche Begegnung. Und Technologie allein ist kein Prozess. Der Vorsitzende des Fachausschusses bei der Deutschen UNESCO-Kommission, Walter Hirche, ehemals Wirtschaftsminister in Niedersachsen, betonte in der von ihm souverän geleiteten Moderationsrunde die vorrangigen Forderungen nach Chancengerechtigkeit und Bildungsqualität und den nachgeordneten Werkzeugcharakter der Technologien. Konsequent wurde dafür plädiert, die Technologie evidenzbasiert ein zuführen und zu nutzen – das heißt, auf der Grundlage von Nachweisen im Alltag, dass sie geeignet und nachhaltig ist. Aus einer sonderpädagogischen Sicht haben digitale Medien für Kinder und Jugendliche mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung eine umfassende Bedeutung. Diese Aussage bezieht sich sowohl auf die möglichen Folgen eingeschränkter individueller Voraussetzungen für das Lernen als auch behindernde sozioökonomische Bedingungen (zum Beispiel Internetanschluss in armen Familien). Digitale Medien können den Zugang zu und den Erwerb von Informationen erleichtern, sie können Kommunikation und Kontakte ermöglichen. So sind assistive Technologien in Bereichen der Kommunikation schon länger im Einsatz. Digitale Medien leisten im weitesten Sinne einen Beitrag zur Barrierefreiheit, sie gewährleisten, dass manche Inhalte überhaupt erst zugänglich werden. Die Verwendung digitaler Medien kann die Selbstständigkeit der Kinder und Jugendlichen fördern und ihre Möglichkeiten der sozialen Teilhabe erweitern. Die Umsetzung der inklusiven Bildung in den Schulen wird durch den Einsatz digitaler Technologie verbessert.
Sonderpädagogische Schwerpunkte
Kolleg*innen mit sonderpädagogischer Expertise können die erfreuliche Feststellung treffen, dass im Weltbildungsbericht die Möglichkeiten der Technologie für den Personenkreis der Kinder und Jugendlichen mit Bedarf an Unterstützung in verschiedenen sonderpädagogischen Schwerpunkten ausdrücklich Berücksichtigung finden. Die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen oder mit Bedarfen an sonderpädagogischer Unterstützung sind durchgängig Gegenstand der differenzierten Betrachtungen und Reflexionen in den vielfältigen Bereichen. Erfreulich, dass in diesem Zusammenhang im Sinne partizipativer Forschung gefordert wurde, Menschen mit Behinderungen bei der Entwicklung neuer Werkzeuge zu beteiligen. Im Bericht wird hervorgehoben, dass Informations- und Kommunikationstechnologien grundsätzlich das Potenzial besitzen, im Bildungsbereich Chancengerechtigkeit zu fördern. Es wird die Chance beschrieben, dass mehr Wissensinhalte in aktivierenden, motivierenden und kostengünstigen Formen angeboten werden können und dass bei bestimmten Lernformen die Qualität des Lehrens und Lernens im Hinblick auf Grundfertigkeiten verbessert werden kann. Damit wird insgesamt zu erweiterten Gelingensbedingungen für inklusive Bildung beigetragen. Die Digitalisierung schreitet rasch voran, im Bildungssystem müssen Anpassungen vorgenommen werden. Dies ist eine verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe, denn: „Education technology evolves faster than we can evaluate it“. Aber es gilt, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, nicht die Technologie. Es ist darauf hinzuwirken, dass bei der notwendigen Ausgestaltung von Aktionsplänen auf Bundes- und Länderebene für die inklusive Bildung bezüglich des Einsatzes der Technologien die spezifischen Interessen und Bedarfe der Lernenden weiterhin und ausdrücklich im Blick bleiben und dabei die kritischen Hinweise des Weltbildungsberichts beachtet werden. Auch bei der Umsetzung ist Wachsamkeit geboten – begleitende Implementationsforschung wurde zu Recht angemahnt. Mit seiner Fülle der reflektierten Aspekte ist der UNESCO-Weltbildungsbericht eine weitere gute Grundlage für die qualitative Weiterführung der inklusiven Bildung.