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Unterrichtsversorgung an den niedersächsischen Grundschulen

Schlagwörter wie „wieder Vertretung“, „weitere Plusstunden“, „hoher Krankenstand“, „erneuter Unterrichtsausfall“, fehlende Förder- und Forderstunden“ sind seit geraumer Zeit alltägliche Gesprächsinhalte und Realitäten in den niedersächsischen Grundschulen.

Nicht erst seit der Corona-Pandemie arbeiten viele Grundschulbeschäftigte an ihrer Belastungsgrenze und vielfach darüber hinaus. Dies verdeutlichen nicht zuletzt die zahlreichen Überlastungsanzeigen, die
gegenwärtig von vielen Grundschulkollegien gestellt werden. Die Kompensation des Fachkräftemangels und eine damit einhergehende unzureichende Unterrichtsversorgung gehören mittlerweile zum Alltag an
den Grundschulen. Demgegenüber war in den Pressemitteilungen des Niedersächsischen Kultusministeriums im Schulhalbjahr 2021/2022 beispielsweise Folgendes zu lesen:

  • ƒ Grundschulen sind die am besten versorgte Schulform mit einer durchschnittlichen Unterrichtsversorgung von 101,5 Prozent.
  • ƒ Die Schulen bieten weiterhin ein attraktives Arbeitsumfeld für junge Menschen.
  • ƒ Es wurden wieder mehr Lehrkräfte eingestellt als aus dem Schuldienst ausgeschieden sind.
  • ƒ Es konnte eine Vielzahl von Einstellungsermächtigungen an Grundschulen realisiert werden, wodurch sich die Abordnungsbedarfe an Grundschulen verringern.

Kurz gesagt: Die vom Kultusministerium dargestellte und die in den Grundschulen erlebte Realität klaffen weit auseinander. Dies veranlasste die Landesfachgruppe Grundschulen dazu, eine eigene Umfrage zur Unterrichtsversorgung durchzuführen. Dafür wurden alle öffentlichen niedersächsischen Grundschulen angeschrieben und gebeten an der Umfrage teilzunehmen. Dieser Bitte folgten rund 20,2 Prozent der Grundschulen.

Schulleitungen
Ein Schwerpunkt der GEW-Befragung bezieht sich auf die Besetzung der Schulleitungsstellen und deren Vertretungen an Grundschulen. Aus der Antwort einer parlamentarischen Anfrage an die Landesregierung vom 4. Mai 2022 ist bereits bekannt, dass zum damaligen Zeitpunkt 134 Schulleitungsstellen an Grundschulen in Niedersachsen unbesetzt beziehungsweise kommissarisch ausgefüllt waren. Dieses Ergebnis wird in der Umfrage von 10,7 Prozent der teilnehmenden Schulen bestätigt. Ein weiterer wesentlicher Belastungsfaktor für die Schulleitungsarbeit an Grundschulen stellt die Versorgung mit ständigen Vertreter*innen (Konrektor*innen) dar. Während in Niedersachsen nur 925 Grundschulen überhaupt eine Stelle für Konrektor*innen haben, steht diese 700 Schulen überhaupt nicht zur Verfügung. Auch diese prekäre Situation wird, wie in der Grafik zu sehen ist, bei der GEW-Umfrage bekräftigt. Nur 59,5 Prozent der teilnehmenden Schulen haben eine ständige Vertretung der Schulleitung. Bei 16,5 Prozent der Schulen ist diese auch wieder nur kommissarisch besetzt beziehungsweise unbesetzt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Besetzung der Schulleitungsstellen beziehungsweise das
Fehlen der ständigen Vertretungen häufig einen wesentlichen Belastungsfaktor in den Grundschulen darstellt. Sofern eine Stelle überhaupt mit einer Schulleiterin oder einem Schulleiter besetzt ist, sind diese häufig mit den zahllosen Aufgaben allein. Bei Krankheit oder anderen Vertretungssituationen bleibt die Arbeit liegen oder muss, wie in allen Fällen, wo die Stellen überhaupt nicht besetzt sind, vom gesamten Kollegium zusätzlich aufgefangen werden. Nicht selten sind die Grundschulen durch die Unterrichtsversorgung so schlecht besetzt, dass die Schulleiterin oder der Schulleiter neben der eigentlichen Leitungsfunktion auch noch eine Klassenleitung übernehmen muss. Die Tendenz der zunehmenden Unattraktivität von Schulleitungsstellen an Grundschulen nimmt nach unseren Erkenntnissen auch weiterhin zu.

Abordnungen, Quereinstieg
Die GEW-Umfrage zeigt darüber hinaus, dass die Unterrichtsversorgung an vielen Grundschulen nur durch Abordnungen aufrechterhalten werden kann. 46,1 Prozent der teilnehmenden Schulen gab an, dass sie eine oder mehrere Abordnungen von einer anderen Grundschule haben. Die wesentlich brisantere Zahl ergibt sich aber aus dem Ergebnis, dass 43,6 Prozent der teilnehmenden Grundschulen eine oder mehrere Abordnungen von einer anderen Schulform haben. Hier werden also Kolleg*innen eingesetzt, die schulformfremd in einem Bereich unterrichten, für den sie nicht ausgebildet wurden.

Weitere „Löcher“ der Unterrichtsversorgung werden durch Vertretungslehrkräfte, den sogenannten Feuerwehrlehrkräften, und durch Quereinsteigende an Grundschulen „gestopft“. Von den teilnehmenden Schulen haben bei der GEW-Umfrage 36,7 Prozent der Grundschulen angegeben, dass bei ihnen eine oder mehrere Vertretungslehrkräfte arbeiten. Diese Kolleg*innen füllen dementsprechend Stellen aus, die
weder durch eine Vertretungsreserve in der Unterrichtsversorgung noch durch die Nachbesetzung aufgefangen werden konnten. Auch der Anteil an 23,4 Prozent Quereinsteigenden stellt bei den Umfrageergebnissen keinen besseren Wert dar. Auch wenn diese Kolleg*innen einen wichtigen Beitrag und gute Arbeit in den Grundschulen leisten, sind auch sie nicht grundständig für den Unterricht an dieser Schulform ausgebildet.

Klassenleitung
Der Versorgungsengpass in den Grundschulen wird insbesondere auch bei den Klassenleitungen ersichtlich. So haben beispielsweise 30,7 Prozent der Vertretungslehrkräfte nach den Ergebnissen der Umfrage eine Klassenleitung übertragen bekommen. An 42 Prozent der Grundschulen, die teilgenommen haben, muss diese Aufgabe von Kolleg*innen übernommen werden, die unterhälftig in Teilzeit an der jeweiligen Schule tätig sind. Neben der Übertragung der Aufgabe als Klassenleitung an Schulleiter*innen haben 14,6 Prozent der Grundschulen angegeben, dass bei ihnen eine oder mehrere Lehrkräfte eine doppelte
Klassenleitung haben. Dieser Bereich stellt in allen Grundschulen eine sehr große und nicht mehr hinzunehmende Belastung dar. Es ist eine Folge des dauerhaften Personalmangels und der „chronischen“
Unterversorgung bei der Unterrichtsversorgung.

A13 / E13
Die Unterrichtsversorgung kann auch nicht durch alle Anwärter*innen, die in Niedersachsen ausgebildet wurden, verbessert werden. Solange Niedersachsen in der Besoldung an Grundschulen das Einstiegsgehalt nicht mit A13 / E13 festsetzt, gibt es für diese in Niedersachsen ausgebildeten Fachkräfte attraktivere Stellenangebote in Bundesländern, die bereits diese Besoldung zahlen.
Bei der GEW-Umfrage haben 23,6 Prozent der Grundschulen angeben, dass Anwärter*innen, die bei ihnen die Prüfung abgeschlossen haben, sich danach in anderen Bundesländern beworben haben. Weitere 22,0 Prozent der teilnehmenden Schulen haben hierzu keine Kenntnis vom Verbleib ihrer Anwärter*innen. Es ist also gut möglich, dass der Anteil der „abwandernden Fachkräfte“ noch deutlich höher ist. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala sind Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen.

Fachexpertise
Der große Mangel und die schlechte Unterrichtsversorgung führen aber auch zu weiteren eklatanten Qualitätsverlusten bei der fachlichen Expertise und dem Unterricht. Eine fehlende Vertretungsreserve oder
der dauerhaft akzeptierte Mangel sorgen an vielen Schulen beispielsweise dafür, dass Pädagogische Fachkräfte nicht gemäß ihrer Profession und Ausbildung als Teil des Multiprofessionellen Teams arbeiten können, sondern die Klassen bei Unterrichtsausfall beaufsichtigen müssen. Dadurch entfallen gleichzeitig wichtige Förder- und Unterstützungsmaßnahmen, die sie dann nicht mehr anbieten können. Bei der sonderpädagogischen Expertise sieht die Situation an den Grundschulen nicht besser aus. 35,8 Prozent der teilnehmenden Grundschulen haben bei der GEW-Umfrage angegeben, dass die sonderpädagogische Grundversorgung in der Inklusion nicht mehr mit der dringend benötigten fachlichen Expertise einer Förderschullehrkraft besetzt werden kann. Hier fehlt den Schulen dann nicht nur die personelle, sondern auch die fachliche Ressource.


Silke Skowronek
Landesfachgruppe Grundschulen

Forderungen

Aus den Ergebnissen der Umfrage ergeben sich für Niedersachsen folgende Forderungen der GEW-Landesfachgruppe Grundschulen.
Zukünftige Grundschulen benötigen:

  • ƒ attraktive Arbeitsbedingungen für Grundschulleitungen und Konrektor*innen
  • ƒ mehr grundschulspezifisch ausgebildete Lehrkräfte
  • ƒ mehr Studienplätze
  • ƒ A13 / E13 und attraktive Arbeitsbedingungen für Grundschullehrkräfte
  • ƒ Vertretungsreserven
  • ƒ ausreichend Fachkräfte und damit Fachexpertise für multiprofessionelle Teams an allen Grundschulen