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Schulsozialarbeit in Niedersachsen

In welche Richtung geht die Entwicklung?

„Wir müssen da sein, wo die Kids sind“ – so lautet der Titel des Buches von Maria Busche-Baumann und Nicole Ermel, das sich mit Schulsozialarbeit in digitalisierten Lebenswelten befasst und dazu animiert hat, die Situation der Kinder und Jugendlichen hier noch einmal zu beleuchten:

Die Pandemie hat in vielfältiger Hinsicht Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Nicht alle von ihnen sind aber in gleichem Maße betroffen. Trotzdem hat sich die Zeit der Pandemie überwiegend negativ ausgewirkt – besonders bei den Kindern aus Familien, die schon vor der Corona-Zeit einen hohen Bedarf an psycho-sozialer Unterstützung hatten. Ebenso haben viele Schulsozialarbeitskolleg*innen ein hohes Aufkommen bezüglich Beratung bei möglicher Suizidgefährdung und Schulabsentismus zu bewältigen. Die Jugendämter äußern die Sorge, dass während des Lock-Downs Fälle von Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung junger Menschen möglicherweise nicht ausreichend erkannt wurden und auch zusätzliche Unterstützungsbedarfe von Kindern, Jugendlichen und Familien entstehen konnten.

Seit Frühjahr 2022 müssen sich die Schulen vermehrt um geflüchtete Kinder und Familien sowohl aus der Ukraine als auch immer noch aus Syrien und Afghanistan zu kümmern. Diese angesprochenen Problemlagen sind zu großen Teilen von allen Akteur*innen in der Schule zu bewältigen. 2022/2023 bietet sich nun auch durch die Landtagswahl am 9. Oktober dieses Jahres eine reelle Chance für eine positive Veränderung. Wenn die Verantwortlichen in der Landesregierung und im Kultusministerium (MK) möchten, dass „wir da sind, wo die Kids sind“, müssen sie sich auf den Weg machen, das Arbeitsfeld qualitativ zu verbessern. Die „Handlungsempfehlungen zur schulischen Sozialarbeit in Corona-Zeiten“ des MK aus dem Februar 2021 waren ein hoffnungsvoller Beginn.

Grundlage der Arbeit
Beweggrund für diesen Artikel ist das Auslaufen des Runderlasses „Sozialarbeit in schulischer Verantwortung“ des Kultusministeriums zum 31. Dezember 2022. Es sind die Gedanken von zwei Schulsozialarbeiter*innen, denen die Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen und die qualitativ hochwertige Weiterentwicklung ihrer Profession am Herzen liegt. Momentan sehen viele Betroffene einen Stillstand in der Professionalisierung ihres Arbeitsfeldes beim Land Niedersachsen, oft verursacht durch fehlende oder falsche Strukturen (Hierarchie, Personalorganisation) sowie mangelnde Ressourcen (Finanzierung, Ausstattung) in der schulischen Sozialarbeit.

Evaluation zum Erlass
Es ist zu hoffen, dass die Landesregierung und die regionalen Landesämter für Schule und Bildung einen neuen Runderlass „Sozialarbeit in schulischer Verantwortung“ und eine entsprechend überarbeitete Handreichung auflegen. Bevor 2017 der Erlass „Sozialarbeit in schulischer Verantwortung“ in Kraft trat, wurden im Rahmen einer Verbandsanhörung Fachkräfte aus Schule, LAG Schulsozialarbeit Niedersachsen, GEW, den niedersächsischen Hochschulen für Soziale Arbeit und anderen Verbänden sowohl schriftlich als auch mündlich gehört. Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit war ein Erlass, der einen wirklichen Gewinn für die Schulsozialarbeit des Landes Niedersachsen bedeutete: Die Rahmenbedingungen waren klar umrissen und es war nicht mehr einfach möglich, dass Schulen fernab jeglicher Qualitätsstandards über den Einsatz von Schulsozialarbeiter*innen entschieden. Nach fünf Jahren ist es Zeit für eine gemeinsame Evaluation, damit wichtige Änderungen vorgenommen werden können.

Entfristung und Aufstockung
Die Vereinbarung zur Umsetzung des Aktionsprogramms „Startklar in die Zukunft“ für die Jahre 2021 und 2022 von Bund und Ländern, gültig für zwei Jahre bis 2023 (50-Prozent- beziehungsweise 75-Prozent-Stellen), sollte für den Bereich der Schulsozialarbeit an den bestehenden Standorten weiterfinanziert und aufgestockt werden. So könnten mehr Angebote der Schulsozialarbeit bereitgestellt werden, um Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung von Belastungen durch die Corona-Pandemie und beim Wiedereinstieg in den schulischen Präsenzbetrieb zu unterstützen. In befristeter Form bis 2023 wird das nicht gelingen.

Finanzetats für Schulsozialarbeit

Schulsozialarbeit hat an keiner niedersächsischen Schule im Schulbudget einen Haushaltsansatz für ihre Tätigkeit. Sämtliche Ausgaben und Investitionen können grundsätzlich nur in Abstimmung mit der Schulleitung und/oder den schulischen Gremien getätigt werden. Ein eigenständiger Handlungsrahmen für die Schulsozialarbeit ist aber ein wichtiges Element von selbstbewusster multiprofessioneller Zusammenarbeit im schulischen Team.

Lernen aus der Krise
Die Rahmenbedingungen der Schulsozialarbeit müssen insgesamt verbessert werden. Das Land Niedersachsen wird aufgefordert, die Schulsozialarbeit im NSchG zu verankern, die dazugehörige Rahmenvereinbarung (Erlass) und die Ausführungsbestimmungen zum SGB VIII, §13a zum Jahr 2023 neu aufzulegen. Dieses betrifft im Besonderen die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit der kommunalen Jugendhilfe. Eine gemeinsame Schulplanung von Kommune und Land in den jeweiligen Sozialräumen wäre aus Sicht der Autor*innen sehr wichtig. An dieser Stelle bedarf es einer verbindlichen Vereinbarung zwischen den öffentlichen Trägern der Schulsozialarbeit. Um wirksame Arbeit als Schulsozialarbeiter*in leisten zu können, braucht es bestimmte Bedingungen als Grundvoraussetzung.

Dienst- und Fachaufsicht
Die Schulsozialarbeiter*innen des Landes unterstehen der jeweiligen Schulleitung als formale Dienstvorgesetzte. Die Schulleitung übt, obwohl berufsfremd, neben der Dienstaufsicht auch die Fachaufsicht für die schulische Sozialarbeiter*in aus. Die Wünsche, die von Seiten der Schulleitungen und Lehrkräfte bezüglich des Arbeitseinsatzes an die Schulsozialarbeit herangetragen werden, decken sich häufig nicht mit der beruflichen Qualifikation der Betroffenen oder der durch den Erlass und die Handreichung dargelegten Einsatzbereiche. Die Autor*innen fordern, dass die Fachaufsicht für unsere Profession nicht mehr bei der Schulleitung liegt. Analog zur Schulpsychologie ist
ein eigenständiges Dezernat für die schulische Sozialarbeit im RLSB zu schaffen.

Fehlender „Mittelbau“
Bis ins Jahr 2022 hat es eine signifikante Steigerung der Stellenanzahl für schulische Sozialarbeit im Land Niedersachsen gegeben. Etwa 1.300 sozialpädagogische Fachkräfte werden vom Land eingesetzt (Pressemitteilung MK vom 10. Juli 2020). Diese Zahl kann sich inzwischen weiter erhöht haben. Im „Mittelbau“ des Konzeptes „Sozialarbeit in schulischer Verantwortung“ (Fachberatung) ist aber kaum Personal vorhanden, um das System flächendeckend auf organisatorisch und fachlich „stabile Füße“ zu stellen. Im Bereich der Fachberatung für schulische Sozialarbeit werden vom Land pro RLSB nur jeweils drei Stellen mit einem Umfang von 50 Prozent in Teilzeit vorgehalten. Die
Fachberater*innen sind mit ihrer zu geringen Arbeitszeit für eine hohe Anzahl von Schulsozialarbeiter*innen zuständig, deren Arbeitsorte häufig räumlich weit auseinanderliegen. Neben der fachlichen Beratung obliegt den Kolleg*innen die Begleitung der zahlreichen regionalen Netzwerkgruppen. Auch eine intensivere Begleitung in der Einarbeitung und Konzepterstellung bei Dienstantritt einer Schulsozialarbeiter*in in einer neuen Stelle zählt zu ihren Aufgaben.
Diese Tätigkeiten sind zum Beispiel für die ausgezeichnet arbeitenden Fachberaterkolleg*innen im RLSB Hannover, aufgrund der hohen Anzahl an Menschen in ihrem Zuständigkeitsbereich, viel zu umfangreich.
Die Autor*innen fordern eine Verdopplung der Stellen in der Fachberatung für schulische Sozialarbeit in den regionalen Landesämtern für Schule und Bildung. Die Fachberater*innen sollten mit mindestens 75 Prozent ihrer Tätigkeit für die Zwecke der Fachberatung abgeordnet sein. Sie brauchen Unterstützung und Entlastung.

Schlussgedanken
„Nach den Sommerferien wird voraussichtlich wieder ein Kind in meine Sprechstunde kommen. In der halben Stunde, die wir für uns vor den Ferien reserviert hatten, werde ich von ihm darauf hingewiesen, dass wir uns ab jetzt jede Woche treffen werden. Ich sage dann sehr wahrscheinlich, dass ich mich freue, es wiederzusehen, und wir gucken, an welchem Tag wir uns verlässlich sehen können. Aufpassen muss ich nur, dass ich zu unserem verabredeten Termin ganz pünktlich bin, denn ich bin als Vertrauensperson ausgesucht und für gut befunden worden. Vermutlich werde ich noch auf dem Heimweg über dieses Szenario lächeln müssen, das sich nun schon seit einiger Zeit nach jeden Ferien wiederholt. Und ich denke bestimmt daran, dass sehr viele meiner Kolleg*Innen in der Schulsozialarbeit genauso aufpassen müssen, dass sie zu einem Termin mit einem ‚ihrer‘ Kinder und Jugendlichen ganz pünktlich sein müssen.“
Auch das sind die Gedanken einer Schulsozialarbeiter*in.