Herrenberg-Urteil
„Übergangsphase nun produktiv nutzen“
Die GEW fordert Weiterbildungsträger und Hochschulen dazu auf, in der Zeit der Übergangsregelung gemeinsam mit den Lehrkräften an einer tragfähigen und sozial gerechten Lösung zu arbeiten.
Der GEW kritisiert den Umgang vieler Weiterbildungsträger und Hochschulen mit der Übergangsregelung nach dem Herrenbergurteil: „Um sich selbst rechtlich abzusichern, nötigen die Träger ihren auf Honorarbasis Beschäftigten rechtlich fragwürdige Zustimmungserklärungen ab, statt gemeinsam an einer tragfähigen und sozial gerechten Lösung für die Zukunft zu arbeiten. Und das Ganze im staatlich geförderten Gesamtprogramm Sprache“, sagte GEW-Weiterbildungsexperte Ralf Becker. „Wir fordern, die Übergangsphase nun produktiv zu nutzen, statt den Druck auf die Beschäftigten immer weiter zu erhöhen.“
Übergangszeit bis Ende 2026
Die Aufregung bei den Weiterbildungsträgern ist groß: In einem viel beachteten Urteil, dem sogenannten Herrenbergurteil, stellte das Bundessozialgericht vor mehr als zwei Jahren fest, dass eine Musikschullehrkraft, die auf Honorarbasis beschäftigt wurde, „scheinselbständig“ war. Die Kommune als Trägerin der Musikschule musste Sozialversicherungsbeiträge in erheblichen Summen nachzahlen.
In der Folge fürchten viele Träger, die in hoher Zahl Honorarlehrkräfte beschäftigen, um ihre Existenz. Auch die Hochschulen sind betroffen, weil das Urteil auch auf Lehrbeauftragte anwendbar ist, die an vielen Hochschulen einen erheblichen Teil der Kurse durchführen. Die Weiterbildungsträger forderten in Reaktion auf das Urteil „Rechtssicherheit“ und bekamen diese auch durch einen neuen §127 SGB IV, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Grundlage mehrerer Fachgespräche mit Trägern und Interessenverbänden noch in der letzten Legislaturperiode durch den Bundestag brachte.
Der neue Paragraph sieht eine Übergangszeit bis Ende 2026 vor. In der Zeit können die Honorarlehrkräfte mit ihrer Zustimmung weiterhin als Selbständige behandelt werden, selbst wenn eine Überprüfung ihres Status durch die Rentenversicherung ergibt, dass sie „scheinselbständig“ sind.
Lehrkräfte sollen Erklärung abgeben
Viele Weiterbildungsträger verlangen nun von allen Honorarlehrkräften bereits bei Abschluss neuer Honorarverträge eine entsprechende Erklärung und koppeln die Auftragserteilung – mal mehr mal minder explizit – an diese Zustimmung. Von Freiwilligkeit kann da kaum eine Rede sein.
Aber diesen Weg hat der Gesetzgeber bewusst eröffnet, um mit der Rechtssicherheit für die Träger auch das Gesamtprogramm Sprache zu retten. Denn in diesen staatlich, durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), geförderten Integrations- und Berufssprachkursen arbeiten zehntausende Sprachlehrkräfte auf Honorarbasis. Brechen hier Träger weg, weil sie von Nachzahlungen bedroht sind oder die Kurse nicht mehr zu vergleichsweise geringen Kosten mit Honorarlehrkräften durchführen können, bricht auch das Gesamtprogramm in sich zusammen und die Lehrkräfte verlieren ihren Job. Indirekt spart der Staat also auf Kosten prekärer Beschäftigungsbedingungen und profitiert von den Existenzängsten der Beschäftigten.
Organisations- und Geschäftsmodelle umstellen
Immerhin hatten die Gewerkschaften im Dialogprozess des BAMS erreicht, dass in der Gesetzesbegründung ganz klar formuliert ist, wofür die Übergangszeit bis Ende 2026 gedacht ist: „(...) Bildungseinrichtungen und Lehrkräften ausreichend Zeit zu geben, um die notwendigen Umstellungen der Organisations- und Geschäftsmodelle vorzunehmen, damit Lehrtätigkeiten auch unter den veränderten Rahmenbedingungen weiterhin sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch selbständig ausgeübt werden können.“ In den Fachgesprächen wurde u.a. die Beteiligung der Auftraggeber an den Sozialversicherungsbeiträgen als möglicher Lösungsweg diskutiert.
Arbeitsbedingungen sozial gerechter gestalten
„Dass jetzt zahlreiche Träger, darunter viele Volkshochschulen, von den Honorarlehrkräften eine Zustimmung zu ihrer Behandlung als Selbständige auch über den 31. Dezember 2026 hinaus einfordern, ist ein Skandal und zeigt, dass sie an einer zukunftsfähigen Lösung wenig Interesse haben, so lange sie ihren eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen können“, empörte sich Ralf Becker, Vorstandsmitglied der GEW.
„Die GEW wird sich gemeinsam mit ver.di und dem DGB dafür stark machen, dass ab dem 1. Januar 2027 die Arbeitsbedingungen im Gesamtprogramm Sprache fairer und sozial gerechter gestaltet werden. Dazu gehört insbesondere eine Beteiligung an den Sozialversicherungsbeiträgen durch die Auftraggeber, wie sie viele Volkshochschulen bereits leisten. Wir bieten den Trägern an, darüber hinaus gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die Rechtssicherheit und sozialen Schutz für die Beschäftigten wie auch die Träger sicherstellen“, so Becker abschließend.