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Stellungnahme der GEW Niedersachsen zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes

Die GEW Niedersachsen hat sich im Rahmen der vorangehenden Schulgesetznovellen zur Einführung der inklusiven Schule umfassend zu Wort gemeldet und ihre Forderungen in verschiedenen Stellungnahmen formuliert.

Verweisend auf diese Ausführungen nimmt die GEW zum Gesetzentwurf zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes wie folgt Stellung:

I. § 64 - Flexibilisierung des Einschulungsalters
Die GEW begrüßt die Regelung, den Erziehungsberechtigten zu ermöglichen, den Schulbesuch ihres Kindes, das zwischen dem 1. Juli und dem 30. September das sechste Lebensjahr beendet, um ein Jahr aufzuschieben, ohne dass es eines Zurückstellungsverfahrens bedarf. Es ist jedoch sicherzustellen, dass die für den weiteren Besuch des Kindergartens erforderlichen Kapazitäten auch regional in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen. Um den Schulen Planungssicherheit für das neue Schuljahr zu geben, muss eine Frist für die entsprechende Erklärung der Erziehungsberechtigten gesetzt werden.

II. § 64 Abs. 3 Satz 1; § 71 Abs.1 Satz 1; § 176 Abs. 1 Nr. 2 - Streichung der "schulischen" Sprachfördermaßnahmen
Die Streichung des Wortes "schulischen" soll dem Spielraum für die Weiterentwicklung der vorschulischen Sprachförderung erhöhen. Die GEW teilt die Auffassung, dass die vorschulischen Sprachfördermaßnahmen nicht zwangsläufig von Lehrkräften durchzuführen sind. Sicherzustellen sind allerdings - insbesondere auch in Hinblick auf die gestiegene Zahl von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache - der zeitgleiche Auf- und Ausbau der vorschulischen und schulischen Sprachförderung und das Bereitstellen der erforderlichen Ressourcen und weiterer Qualifizierungsmöglichkeiten der Beschäftigten in den vorschulischen Einrichtungen. Unterbliebe dies, wäre das ein grobes Missachten des massiv gestiegenen Bedarfs und der sich daraus ergebenden Folgen für Schulerfolg und Chancengleichheit durch die Politik. Anlass zu dieser Befürchtung geben auch die Aussagen des Ministers im Januarplenum des Landtags, der einerseits von einer schnellen Umsetzung der Maßnahmen zum kommenden Schuljahr spricht, andererseits aber betont, dass die Erweiterung des Spielraums der vorschulischen Sprachförderung erfolge, "ohne dass bereits abschließend festgelegt wird, wie die vorschulischen Sprachfördermaßnahmen im Detail künftig konzeptionell durchgeführt werden." Während die bzw. Teile der eingesparten Stunden schon der zukünftigen Unterrichtsversorgung der Grundschulen zugerechnet werden, ist hinsichtlich der Neukonzeptionierung bisher nichts bekannt. Den Kommunen zusätzliche Haushaltsmittel und die Zuständigkeit der vorschulischen Sprachförderung zuzuweisen, reicht bei weitem nicht aus und verkennt die Brisanz der Problemlagen sowie den akuten Handlungsdruck. Die Sicherung der Unterrichtsversorgung durch Streichung bzw. Kürzung von Sprachfördermaßnahmen lehnt die GEW ab. Die durch einen Rückbau der vorschulischen Sprachfördermaßnahmen eingesparten Stunden sind vollumfänglich für entsprechende Maßnahmen der Grundschulen zu nutzen.

III. § 183 c Abs. 5 - Inklusion
Ziel dieser Änderung soll gemäß Begründung die Gestaltung eines Übergangszeitraums für die weitere Umsetzung der Inklusion im Bereich der schulischen Bildung sein. Es ist unstrittige Tatsache, dass es der gelingenden Inklusion zurzeit sowohl noch an qualifiziertem Personal als auch an ausreichenden Ressourcen fehlt. Andererseits sind Prozesse eingeleitet und Konzepte entwickelt worden, die ihre Wirkung gerade erst zu entfalten beginnen; sei es die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams oder die Implementierung der RZI. Das Nebeneinander von RZI und Förderzentrum bzw. Förderschule verhindert eine klare Rollen- und Aufgabenzuweisung. Unstrittige Tatsache ist auch, dass die Umsetzung der Inklusion Zeit benötigt, sowohl hinsichtlich ihrer Implementierung als auch hinsichtlich ihrer Akzeptanz und des erforderlichen nachhaltigen Perspektivwechsels in der Gesellschaft. Der nun vorgesehene zusätzliche Zeitfaktor dient allerdings nicht der Stärkung der Inklusion, sondern schafft unnötig weitere Verunsicherung. Sich der Verantwortung in dieser Phase zu entziehen, diese den Schulträgern zu übertragen und sie anzuhalten - so der Minister in Landtag - "einen geeigneten Plan zu entwickeln, wie nach Ablauf des Bestandsschutzes die Inklusion vor Ort umgesetzt werden soll", steht dem entgegen, was jetzt nötig ist: Klare Rahmenbedingungen, Planungssicherheit und eine sinnvolle Bündelung sowie ein Ausbau der Ressourcen.

Den Prozess durch den befristeten Erhalt der Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen abzubrechen, ist aus Sicht der GEW deshalb weder das Sache dienlich noch sinnvoll. Das Nebeneinander von inklusiver Schule und Förderschule im Förderschwerpunkt Lernen verbraucht unnötig personelle als auch finanzielle Ressourcen, die für den Ausbau der inklusiven Schule dringend benötigt werden und dort sinnvoller eingesetzt werden können.

Der errechnete Mehrbedarf in Höhe von bis zu 50 Mio. Euro ist sinnvoller in den inklusiven Schulen einzusetzen als für kleine - die Berechnung geht von einer Klasse je Schuljahrgang aus - Förderschuljahrgänge, die übergangsweise bis 2020 erhalten bzw. wieder eingerichtet werden können. Ausgehend davon, dass die Rechengröße von einer A 13-Lehrkraft pro Klasse und Jahr nicht ausreichen dürfte, um den Pflichtunterricht abzudecken, ist ggf. noch von einer wesentlich höheren Haushaltsmehrbelastung auszugehen.

Die GEW begrüßt, dass die Landesregierung mit dieser Berechnung den erheblichen finanziellen Mehrbedarf für die Umsetzung der Inklusion anerkennt und diesen auch bei der Haushaltsaufstellung zu berücksichtigen plant. Abgelehnt wird aber, diese Mittel für einen Rückbau zu nutzen, statt die personelle Ausstattung und pädagogische Arbeit der inklusiven Schule zu verbessern. Die Doppelstrukturen, die der Gesetzentwurf eröffne, sind nicht nur kostenintensiv, sondern erfordern auch einen deutlich höheren Personalaufwand. Dieses qualifizierte Personal ist schon jetzt nur mit großer Mühe zu finden; die Personalnot ohne Not noch zu erhöhen und den begonnenen Inklusionsprozess damit zu gefährden, ist weder nachvollziehbar noch akzeptabel.

Auch die Option, an anderen allgemein bildenden Schulen Lerngruppen für Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen einzurichten, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Nach § 4 (1) Satz 2 Niedersächsisches Schulgesetz entscheiden die Erziehungsberechtigten, welche Schulform Schülerinnen und Schüler besuchen. Es kann nicht Anliegen der Politik sein, dass an derselben Schule einerseits Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in Klassen inklusiv unterrichtet werden und andererseits in getrennten Lerngruppen. Diese Segregation befördert einseitig das Aussondern von Schülerinnen und Schüler mit Lernauffälligkeiten. Der Gesetzgeber missachtet völlig die anerkannte soziale Dimension von Beeinträchtigungen. Diese Art der segregierenden Beschulung dient weder dem individuellen Wohl des einzelnen Kindes oder Jugendlichen noch der Schaffung besserer Bildungschancen und widerspricht den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention und denen einer inklusiven Schule.

Sollte dieser Passus in der Gesetzesnovelle dennoch erhalten bleiben, so ist zumindest sicherzustellen, dass entsprechende Lerngruppen nur dann vom Schulträger eingerichtet werden können, wenn die Zustimmung der betroffenen Schule vorliegt. Anderenfalls würde die pädagogische Arbeit von Schulen, die schon inklusiv arbeiten, zunichte gemacht. Auszunehmen wären von einer solchen Regelung auch Förderschulen. Die Vorschrift in § 183 c Abs. 5 Satz 4 müsste demnach lauten:"....genehmigen, dass der Schulträger an anderen allgemein bildenden Schulen im Sekundarbereich I (§ 5 Abs. 2 Nr.1 Buchst. b bis f) mit deren Zustimmung Lerngruppen ..."

Die GEW lehnt die geplante Änderung des § 183 c Abs. 5 ab, da diese einen deutlichen Rückschritt der inklusiven Beschulung in Niedersachsen darstellt. Die im Koalitionsvertrag formulierten bildungspolitischen Ziele, die ihren Niederschlag in dieser Novelle finden, stellen aus Sicht der GEW einen Kompromiss dar, der den derzeitigen Regierungsparteien die Option lässt, nach einer nächsten Wahl mit anderen Mehrheitsverhältnissen ihren jeweiligen eigenen Kurs fortzusetzen und die Voraussetzungen sowohl für einen Ausbau der inklusiven Schule als auch für einen Rückbau offenzuhalten. Diese Strategie geht zulasten aller am Inklusionsprozess Beteiligten und wird von der GEW nicht mitgetragen. Statt die Umsetzung der Inklusion zu verzögern, gilt es sie zu verbessern. Einem solchen Prozess steht die GEW gern beratend zur Verfügung.

 

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