Die Auseinandersetzung mit den „Herausforderungen an die Grundschule und die Professionalität ihrer Lehrkräfte“ stellte beim Fachtag in Jeddingen - mit Prof. Dr. Hans Brügelmann als Referenten hochkarätig besetzt - inhaltlich die konsequente Fortführung eines Schwerpunktes in der Fachgruppenarbeit dar, der bei den landesweiten Fachtagungen unter verschiedenen Aspekten in den Mittelpunkt gestellt wurde, zuletzt im November vergangenen Jahres unter dem – durchaus provozierend gemeinten - Titel „Grundschule geschätzt – unterschätzte GrundschullehrerInnen“.
Brügelmann beobachtet, begleitet und gestaltet die Bedeutung der Grundschule ebenso wie die Grundschul-Pädagogik seit mehr als 40 Jahren. Sein Name ist verbunden mit der Lese- und Rechtschreibreform der 80er Jahre, aber auch mit wichtigen Studien zum Verhältnis von fachlichem Lernen in der Schule und außerschulischen Aktivitäten und Erfahrungen (LISA & KO) sowie zum schichtspezifischen Lernen außerhalb des Unterrichts (SCHLAU).
Entsprechend fundiert und unbestreitbar sind die Argumente, die Brügelmann zu seiner Forderung anführt, die Politik müsse die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen für die wachsenden Anforderungen an die Grundschule als Institution (Ganztag, Inklusion, veränderte Kindheit, Kinderarmut, geflüchtete Kinder, Pensionierungswelle).
Vielsagend dazu das angeführte Zitat der KMK-Empfehlungen (Kultusministerkonferenz, 2015, S. 26) zur Arbeit in der Grundschule:
„Die gesellschaftliche Wertschätzung der Grundschule drückt sich in der Sicherung der dafür notwendigen Ressourcen aus
Ebenso betonte Brügelmann die wachsenden Ansprüche an die Lehrkräfte als Person: Neben fachlicher und fachdidaktischer Kompetenz und der Beherrschung unterrichtsmethodischer Vielfalt (digitale Medien) sei mehr und mehr die Übernahme sozialpädagogischer Aufgaben erforderlich. Darüber hinaus werde die Arbeit in multiprofessionellen Teams und die Mitverantwortung für die Schulentwicklung vorausgesetzt.
Das Selbstverständnis der Grundschullehrkräfte, im Besonderen der Klassenleitungen, habe sich grundlegend verändert. Managementanforderungen des Ganztags auf der einen, oftmals Ersatzfamilie auf der anderen Seite, die grundlegend veränderte Sicht auf Kinder, kulturelle und sprachliche Vielfalt machten deutlich, dass sich historische Arbeitsbedingungen nicht einfach weiterführen lassen.
Eine völlig andere Art von Schule sei auch entstanden durch offene Formen des Unterrichts und selbstbestimmtes Lernen. Dafür seien die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Zwar habe sich die Ausstattung der Grundschulen gegenüber früher verbessert, sei aber nicht ausreichend im Vergleich zu anderen OECD-Ländern und immer noch zurück hinter der Sekundarstufe in Deutschland.
Ein Sonderproblem stellt nach Brügelmann die Leitungsfunktion in Grundschulen dar: Sie sei vergleichbar mit der Leitung eines Betriebes mit mehreren hundert Mitarbeiter*innen. Das Aufgabenspektrum entspräche dem der Sekundarstufe – plus vergleichsweise hohem Anteil an eigenem Unterricht. Die organisatorische Belastung ist hoch, es gibt keine Funktionsstellen, keine Sachbearbeitung, wenig Sekretariatsstunden. Status und Besoldung sind niedriger als an anderen Schulformen.
Die im Resümee formulierten konkreten Forderungen an die Politik
- kleinere Klassen und weniger Unterrichtsverpflichtung
- mehr Doppelbesetzung und personelle Unterstützung mit differenzierten Kompetenzprofilen
- Organisation arbeitsteiliger Vernetzung mit externen Kooperationspartnern
belegen einmal mehr die Richtigkeit und Dringlichkeit der von der Fachgruppe vorrangig geforderten Absenkung der Regelstundenzahl, Anhebung der Anrechnungsstunden für unterrichtliche und außerunterrichtliche Belastungen (derzeitiger Faktor 0,3).
Zur Durchsetzung der Forderungen verwies Brügelmann aber auch auf die Notwendigkeit des breiten Engagements in Gewerkschaften und Verbänden, auf Bündnisse mit Eltern, Schulleitungen und anderen Beteiligten, auf runde Tische mit Ministerium, Parteien und anderen Verbänden.
Zur aktiven Auseinandersetzung mit den Anforderungen in der veränderten Grundschule boten Arbeitsgruppen Gelegenheit, die die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen und kooperative Förderplanung als Teamaufgabe und Chance zur Teambildung thematisierten.
Die Ergebnisse waren einhellig, die daraus resultierenden Forderungen eindeutig: Teamarbeit ist unabdingbar, wirkt entlastend durch gemeinsame Verantwortung, bereichert durch vielfältige Perspektiven. Aber: Teamarbeit gelingt nur auf Augenhöhe, das erfordert klare Arbeitsplatzbeschreibungen, gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit, Fortbildungsmöglichkeiten für alle Beteiligten. Teamarbeit gelingt nur mit verbindlich festgelegten Zeiten, zeitliche Ressourcen müssen für alle Beteiligten geschaffen werden.
Fazit des Tages: So interessiert und engagiert die Kolleginnen und Kollegen zugehört, diskutiert und miteinander gearbeitet haben, so frustrierend ist die Tatsache, dass die erforderlichen Rahmenbedingungen eben nicht gegeben und auch keine vertrauenerweckenden Signale aus der Politik zu vernehmen sind (siehe Podiumsdiskussion).
Fazit des Referenten: „Notfalls hilft nur Verweigerung!“
Am folgenden Delegiertentag stimmte Ilonka Bruhn mit einer Präsentation zur „Arbeitssituation an den Grundschulen, Strategien und Forderungen der Fachgruppe“ die Teilnehmer*innen ein.
Die Entwicklung der seit 2013 eigenständigen Fachgruppe Grundschulen, die zeitgleich einsetzende massive Beschwerdewelle (mehr als 300 Briefe gesamter GS-Kollegien an das Kultusministerium) mit allen daraus erwachsenen Aufgaben für den Fachgruppen-Vorstand und Aktionen der Grundschulkolleg*innen („5 vor 12“, „warm up – roll mit“), die konsequente Beförderung des Themas ins innergewerkschaftliche, öffentliche und politische Bewusstsein so umfassend und chronologisch dargestellt zu bekommen, war für die Delegierten beeindruckend. Nicht zuletzt die noch einmal auf den alarmierenden Punkt gebrachten grundschulspezifischen Ergebnisse der Arbeitszeit- und Belastungsstudie sowie die Vorbereitung eines Klageverfahrens mehrerer Grundschullehrkräfte und Grundschulleitungen durch die GEW-Rechtsstelle bildeten das Spektrum, vor dem die Podiumsdiskussion mit den Landtagsabgeordneten Kai Seefried (MdL CDU) und Uwe Strümpel (MdL SPD) stattfand. Die GEW vertrat dabei die stellvertretende Landesvorsitzende Laura Pooth, Monika de Graaff die Fachgruppe Grundschulen.
Konnten die ersten Vertreter der Politik , die der Einladung der Fachgruppe bei vorherigen Veranstaltungen gefolgt waren, noch durch ihr bloßes Erscheinen punkten und die Kolleg*innen zufrieden stellen mit dem Eingeständnis, die Grundschulen nicht ausreichend im Blick gehabt zu haben und mit dem Versprechen, sie künftig bei Plenardebatten in den Fokus zu rücken, wurde schnell deutlich, dass Grundschullehrkräfte jetzt mehr erwarten.
Ein großes Herz, „vollstes Verständnis“ und „Riesenwertschätzung“ reichen nicht mehr aus. Anita Dawid, die die Diskussion moderierte, forderte klare Aussagen dazu, was die Wahlprogramme der Parteien zu Entlastungsmöglichkeiten in der Grundschule beinhalten. Besonders das Grundschullehramt sei zu einem höchst unattraktiven Beruf geworden. Unterschiedliche Besoldung bei einem Studium von gleicher Länge und gleichen Anforderungen führe schon jetzt erkennbar zu einem enormen Lehrkräftemangel. Ganztags- und inklusive Schule können nicht annähernd mit den notwendigen personellen Ressourcen ausgestattet werden. Schulleitungsstellen können nicht besetzt werden. Rund 150 Grundschul-Leitungsstellen sind derzeit vakant, einige davon seit Jahren.
Parteipolitisches Gekabbel lenkte nicht von zielgerichteten Nachfragen aus dem Publikum ab. Uwe Strümpel hatte hier den deutlich leichteren Part, er stellt sich nicht mehr zur Wahl und zog sich so immer wieder auf seine persönliche Meinung zurück. Kai Seefried konnte zwar den CDU-Fraktionsbeschluss zum Einstiegsgehalt A13 für Grundschulleitungen, unabhängig von der Schulgröße, vermelden, musste sich jedoch viele kritische Argumente gegen die von seinem Parteikollegen Althusmann angedachte Absenkung der Anrechnungsstunden anhören. Monika de Graaff erinnerte ihn daran, dass er Grundschullehrkräfte vor sich hat und machte Bezug nehmend auf den Vortrag von Brügelmann deutlich, dass ein Rückzug auf das „Kerngeschäft Unterricht“ nicht nur nicht wünschenswert, sondern im Grundschulbereich gar nicht möglich ist.
Laura Pooth legte noch einmal die GEW-Position zur Forderung „A13 für alle“ dar, die Anhebung der Besoldung für die Schulleitungen, die immer noch nur A12 bekommen, könne nur ein erster Schritt sein. Zweifel daran, ob der politische Wille zur Umsetzung der dringend erforderlichen Entlastungen tatsächlich gegeben ist, und die Skepsis gegenüber einem angekündigten Stufenplan blieben bestehen. Monika de Graaff gab abschließend den Abgeordneten einen deutlichen Wink mit auf den Weg: „Lassen Sie es nicht so weit kommen, dass jedes Recht vor Gericht eingeklagt werden muss!“
Sachlich-harmonisch ging es Fachgruppen-intern weiter:
Entsprechend der Geschäftsordnung legte der Geschäftsführende Vorstand (GV) Rechenschaft über seine Arbeit der letzten Wahlperiode ab. In der Aussprache gab es viel Dank und Anerkennung für die intensive Arbeit. Entsprechend fiel die Entlastung des GV einstimmig aus.
Monika de Graaff, Ilonka Bruhn, Anita Dawid und Friederike Hein wurden ebenso einstimmig wieder gewählt. Die kontinuierliche Weiterarbeit, die Vertretung im GEW-Landesvorstand, der Austausch auf Bundesebene sind somit gewährleistet.
Ilonka Bruhn, Fachgruppenvorstand