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„Je größer die Sichtbarkeit, desto weniger Raum gibt es für rechte Ideen!“

Vom 28. Februar bis 1. März fand in Hannover das dritte niedersachsenweite Treffen des GEW-Arbeitskreises (AK) Queer statt. Zu Gast war auch Julia Willie Hamburg, die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag – seit Mitte März zudem Fraktionsvorsitzende. Der AK hat während des Treffens ein Interview mit ihr geführt.

Julia Willie Hamburg (Mitte) mit Frederick Schnittker und Dr. Monika Brinker. Foto: Sabine Banko-Kubis

Wie würdest du den aktuellen Stand der Queer-Politik in Niedersachsen beschreiben?
Seit 2014 läuft in Niedersachsen die landesweite Kampagne "Für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt", im Rahmen derer auch der sogenannte Entschließungsantrag „Schule muss der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten gerecht werden - Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern“ vom niedersächsischen Landtag beschlossen. Standen zu Beginn der Kampagne finanzielle Mittel in der Größenordnung von 1,6 Millionen Euro zur Verfügung, belaufen sich die Mittel im Jahr 2019 nur noch auf 440.000 Euro. Leider wurden also die Gelder nicht verstetigt, so dass jetzt viele queere Projekte erheblich streichen oder sogar ganz ihre Arbeit einstellen müssen. Und das obwohl sich das Feld von Lesben und Schwulen zu Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Interpersonen (LGBTIQ*) erweitert hat. Es gilt also über mehr Bereiche Aufklärungsarbeit zu leisten, bei gleichzeitig sinkenden Finanzierungsmöglichkeiten! Wir wollen die Strukturen, die weggebrochen sind in der CSD-Saison 2020 sichtbar machen, um so den Druck aus der Zivilgesellschaft gegen Diskriminierung und für Menschenrechte einzutreten, zu erhöhen.

 

Welche Projekte verfolgt deine Fraktion in Bezug auf die Queerpolitik gerade?
Im Dezember 2018 wurde vom Bundestag das Personenstandsgesetz geändert und die Möglichkeit einer dritten Option für intersexuelle Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, geschaffen. Wir haben im Januar 2020 im Landtag eine große Anfrage zur Umsetzung der dritten Geschlechtsoption in der Gesellschaft gestellt. Aus unserer Sicht steckt die Umsetzung dazu in Niedersachsen noch in den Kinderschuhen. Im Bereich Schule wünschen wir uns LSBTIQ*-Ansprechpersonen in jeder Regionalabteilung der Landesschulbehörde, die neben einer fachlichen Unterstützung und Beratung von Schulen zum Beispiel zur Implementierung des Themas „Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ in Schulprogramme, Anti-Mobbing-Konzepte, etc., auch Fortbildungsangebote für Lehrkräfte anbieten und das Engagement nach außen sichtbar machen. Bei der Polizei in Niedersachen sind solche Ansprechpersonen schon fest eingeplant!

Unser diesjähriger Regenbogenempfang am 17. April 2020 - leider aufgrund der aktuellen Situation verschoben - sollte sich der Frage widmen, wie sich der Pflegebereich aufstellen muss, um den Belangen und Perspektiven von LSBTIQ*-Personen als Nutzer*innen von Pflegeeinrichtungen und -angeboten gerecht zu werden.

 

Wie sieht du die Beziehung zwischen den Themengebieten Inklusion und LSBTIQ*?
Wenn wir im Landtag über Inklusion sprechen, ist der Fokus eigentlich immer bei dem Thema Behinderungen. Der Inklusionsbegriff der Grünen geht aber viel weiter, so dass aus meiner Sicht die Themen Inklusion und LSBTIQ* ein Querschnittsthema bilden. Wir Grüne nehmen das Menschenrecht auf Inklusion ernst und wollen Inklusion weiter vorantreiben. Unter einer inklusiven Gesellschaft verstehen wir eine Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt.

 

In allen anderen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern und Niedersachsen gibt es inzwischen Aktionspläne für die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Intergeschlechtlichen Menschen. Wie ist deine Auffassung dazu?
Ich befürworte natürlich einen solchen Aktionsplan auch für Niedersachsen. Dazu muss dringend eine politische Debatte ministerienunabhängig angestoßen werden. Eine Diskussion darüber erfordert aber auch öffentlichen Druck. Aus meiner Sicht wäre ein Gespräch über Koalitionsgrenzen hinweg mit allen queerpolitischen Sprecherinnen mit Vertreter*innen von QNN, Schlau und GEW ein geeigneter Anfang, um diese Diskussion weiter voranzutreiben.

Danke für das Gespräch.

 

Monika Brinkerfür den AK Queer