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Ein Erlass schafft bedenkenswerte Fakten

Am 14. Juli 2021 wurden „Grundsätzliche Regelungen zur Organisation des Unterrichts in den Schulformen der berufsbildenden Schulen mit Ausnahme des Beruflichen Gymnasiums im Schuljahr 2021/2022“ an die Schulleitungen der BBSen versandt. Dieser Erlass trat zum neuen Schuljahr in Kraft.

Das Referat des Geschäftsführenden Vorstandes für berufliche Bildung und Weiterbildung begrüßt, dass der Bereich BBS gesondert in den Blick genommen und dafür ein Erlass auf den Weg gebracht wurde, der die Auswirkungen von Corona auf den Unterricht berücksichtigt. Auch der Rückgriff auf gemachte Erfahrungen im Distanzunterreicht erscheint folgerichtig. Es erscheint jedoch angebracht, auf einige der umzusetzenden Forderungen aus dem Erlass speziell einzugehen:

  • Die Forderung nach einer verbindlichen Einstiegsphase für alle Bildungsgänge: In allen Bildungsgängen der berufsbildenden Schulen ist zu Beginn des Schuljahres eine verbindliche Einstiegsphase im Umfang von ein bis vier Wochen vorzusehen. Diese Phase soll genutzt werden, um allen Beteiligten ein „Wiederankommen“ im Schulbetrieb in Präsenz zu ermöglichen, Versäumtes aufzuarbeiten und sich als Lerngruppe und Schulgemeinschaft (neu) zu finden. Leider ist dabei nicht bedacht worden, dass insbesondere im Dualen System wenig Zeit für anderes als unterrichtsrelevante Inhalte bleibt. Insofern ist diese begrüßenswerte Maßnahme nur dann sinnvoll, wenn in den Abschlussprüfungen auch auf eventuelle Defizite, resultierend aus einer länger dauernden Abschlussphase, Rücksicht genommen wird. Es bleibt die Frage, ob diese – sinnvolle – Phase nicht besser vor den Sommerferien hätte stattfinden können.
  • Die Forderung nach vorrangig teambildenden Maßnahmen: Neben der Erfassung der Lernausgangslage sollten hier vorrangig teambildende Maßnahmen eingeplant werden. Auch ist die Vorbereitung auf den Distanzunterricht vorzusehen, um für mögliche Infektionswellen vorbereitet zu sein. Dieses umfasst die Ausstattung und den Umgang mit digitalen Medien und Methoden des selbstgesteuerten Lernens gleichermaßen. Teambildende Maßnahmen sind im Prinzip jederzeit sinnvoll und finden auch fortlaufend statt. Für Klassen, die fast die gesamte Zeit in Präsenz beschult wurden, stellt sich aber doch die Frage der Notwendigkeit einer solch langen Phase. Vor allem neue Klassen müssen auf den Distanzunterricht in ihrer neuen Schule vorbereitet werden. Das gilt jedoch auch für Lehrkräfte, da ja vieles zu Coronazeiten nicht optimal funktionierte. Es sei nur auf die immer noch fehlende digitale Infrastruktur hingewiesen. Die Schulen mussten den Umgang mit dem Distanzunterricht quasi zwangsläufig in Rekordzeit einüben.

Eine Evaluation darüber wäre wünschenswert gewesen:

  • Zur Feststellung der Lernausgangssituation eignen sich alle bereits etablierten Instrumente der Kompetenzfeststellung wie beispielsweise „2P Potenzial & Perspektive“ oder andere Diagnosetools. Für bestimmte Bildungsgänge können Lernstandsberichte aus den abgebenden allgemein bildenden Schulen genutzt werden, um eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler anzustreben (vgl. auch „Startklar in die Zukunft“). Die Lernausgangssituation zu ermitteln, schafft eine solide Ausgangsposition für die Arbeit. Natürlich kann man auf bereits etablierte Instrumente aus dem Bereich der allgemein bildenden Schulen zurückgreifen. Das Kompetenzfeststellungsverfahren „2P“ in diesem Zusammenhang als etabliert zu bezeichnen, ist ambitioniert. Wünschenswert und hilfreich wären Instrumente der Kompetenzfeststellung, die auf den Bereich BBS zugeschnitten sind. Für solch eine Zusammenarbeit müssen Ressourcen bereitgestellt werden. In multiprofessionellen Teams wäre dies mit Sicherheit gut zu bewältigen.
  • Distanzunterricht: Im neuen Schuljahr ist Distanz unterricht verbindlich für alle Bildungsgänge der berufsbildenden Schulen unabhängig vom Infektionsgeschehen einzuplanen. Der Umfang soll schulweit mindestens 15 und höchstens 30 Prozent betragen. Hinweise, Informationen und Vorgaben für den Distanzunterricht sind in den Handlungsempfehlungen für Lehrkräfte für den Distanzunterricht in berufsbildenden Schulen (https://du-bbs.nline.nibis.de) zusammengestellt.

Natürlich dürfen die Erfahrungen mit dem Distanzunterricht nicht in Vergessenheit geraten, wenn regulärer Präsenzunterricht wieder der Normalfall ist. Dies sollte aber durch eine dringend benötigte – noch durchzuführende – Evaluation der bisherigen Erfahrungen erfolgen. Dass der Distanzunterricht bei Berufsbildenden Schulen vorgeschrieben wird, ist insofern kritisch zu sehen, da noch kein ausreichendes Angebot an Schulungen und Fortbildungen bereitgestellt wurde. Es gibt durchaus Bereiche, wo bereits erfolgreich digitaler Unterricht stattfand. Demgegenüber lassen sich aber auch Teile im berufsbildenden Bereich definieren, in denen Digitaler Unterricht nicht erfolgreich sein kann. Eine Evaluation darüber wäre für alle Beteiligten hilfreich. Ein besonders betroffener Bereich ist die Fachpraxis, die vieles neu erstellen und ausprobieren musste. Hier fehlt die Ressource Zeit, um den qualitativen Ansprüchen zu genügen. Benötigtes Gerät, wie beispielsweise Videoausrüstung zum Erstellen von Lehrvideos, Computer-Hard- und Software sowie eine stabile Infrastruktur sind noch immer nicht gegeben. Es bedarf neuer pädagogischer Konzepte und Arbeitsmaterialien, die nicht entsprechend vorliegen. Die umzusetzende Inklusion ist ebenfalls eine große Herausforderung und in vielen Bereichen noch nicht richtig etabliert. All diese Rahmenbedingungen sollten nun bis zum Schuljahresanfang 2021 erstellt werden. Wie das in kürzester Zeit und ohne entsprechende Ressourcen passieren sollte, war nicht geregelt.

Großer Leidensdruck Die Forderung nach 15 bis 30 Prozent im Distanzunterricht ab Schuljahresbeginn 2021 wird nur dann erfolgreich umgesetzt werden können, wenn Nachsteuerung beziehungsweise Unterstützung durch zusätzliche zeitliche und materielle Ressourcen sowie entsprechende Fortbildungen erfolgt. Erlasse, die etwas zementieren, was zeitlich so nicht leistbar ist, werden nicht zum Erfolg führen und dienen nur zu einer Verstärkung des Leidensdrucks der Beschäftigten im System der beruflichen Bildung, deren Belastungsgrenze bereits mehrfach überschritten wurde. Das Duale System in Niedersachsen steht mit allen Berufsbildenden Schulen und den dort vorhandenen Bildungsgängen für hohe Qualität, die auch im europäischen Ausland anerkannt ist. Die Forderung, in kurzer Zeit mindestens 15 Prozent der zu vermittelnden Inhalte neu zu erstellen, wird diesem Anspruch nicht gerecht.

Referat für berufliche Bildung und Weiterbildung

Landesfachgruppe BBS