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Alles eine Frage des individuellen Einsatzes – oder?

„Microsoft 365“ und „Microsoft Teams“ an Berufsbildenden Schulen Immer wieder erreichten die Schulbezirkspersonalräte und den Schulhauptpersonalrat Fragen zum Einsatz von MS-Teams an berufsbildenden Schulen, besorgte Lehrkräfte und Personalräte wollten wissen, ob der Einsatz überhaupt datenschutzkonform ist. Diese Nachfragen wurden auch im Kultusministerium vorgelegt. Im Mai gab es darauf die sinngemäße Antwort, dass der Einsatz der „leistungsfähigen kommunikativen und kollaborativen Möglichkeiten […] für Gruppen äußerst nutzbringend“ seien. Leider wäre zurzeit die Nutzung nicht von der niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz an Schulen genehmigt. Nun scheint zumindest für einige berufsbildenden Schulen diese Aussage nicht mehr zu gelten, sondern es wird nach Einzelfall entschieden.

Das Kultusministerium weist auf ein aktuelles Innovationsvorhaben hin, das die Zulässigkeit des Produktes „Microsoft Office 365“ im Schulkontext untersucht, anschließend prüft und evaluiert. Die Ergebnisse werden der niedersächsischen Landesbeauftragten für Datenschutz helfen, sogenannte Use Cases zu liefern, und dabei unterstützen, eine Entscheidung zum Einsatz im schulischen Kontext herbeizuführen. Ein ähnlicher Aufwand, vom Land Niedersachsen mit erheblichem Ressourceneinsatz (Lehrer*innenstunden) finanziert, existierte wohl bisher für kein anderes, alternatives IT-Produkt – etwa von mittelständischen Softwareunternehmen oder gar freier Software. Mögliche positive „Use Cases“ sollen für andere BBSen dann Vorlagen für den möglichen Einsatz im schulischen Kontext sein. Man kettet sich also einfach an den etablierten Marktführer und zahlt mit Steuermitteln für Produkte, die eigentlich auch frei und Open Source zur Verfügung stehen (zum Beispiel Nextcloud Hub). Es scheint so, als suche man hier dringend durch die Hintertür nach einem alternativen Einführungspfad für eine Software, die von der Datenschutzkonferenz aller Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bisher für unzulässig gehalten wird, zuletzt im Herbst 2020.1 Gleiches gilt für die unterschiedlichen Videokonferenztools vieler amerikanischer Anbieter.2

Im Nebel

Etwas nebulös ist hier die Produktbezeichnung: Es geht weniger um die Standard-Office-Produkte wie Word, Excel oder Power Point, sondern um die cloudbasierte, im Abo-Modell zyklisch wiederkehrend zu bezahlende Kooperationsplattform „Microsoft Teams“. Nach derzeitigem Stand bleiben viele Fragen offen. Warum ist ausgerechnet diese Plattform so bedeutsam? Sie wird derzeit gerne auch in Firmen genutzt wird, um Meta-Daten zu generieren, das bedeutet konkret: Wie oft haben sich Mitarbeiter*innen zum Beispiel eingeloggt, einen Chatbeitrag gepostet, eine Videokonferenz durchgeführt, oder auch um generell zu überwachen, wie, wann und mit wem die Tätigkeiten erledigt wurden. Das geschieht auch keineswegs im Verborgenen, sondern wird als besonderes Feature namens „Productivity score“3 strategisch in den Marketing-Fokus von Microsoft gerückt. Sämtliche Daten über EMails, Besprechungen, Suchanfragen oder Postings können anschließend für jede*n Mitarbeiter*in als Microsoft Graph visualisiert werden.4 Gerade an Berufsbildenden Schulen, die durch ihr Profil mit der Wirtschaft enger verbunden sind als die allgemein bildenden Schulen, wird der Einsatz von Microsoft Teams teilweise pragmatisch befürwortet, weil die zu Unterrichtenden im Dualen Ausbildungssystem diese Plattform aus der betrieblichen Praxis kennen und benutzen (sollen), wie beispielsweise in digitalen Prüfungen. Das System wird dabei oft als sehr stabil bezeichnet. Hier wird aber die technische Ausstattung in Firmen verwechselt mit der eher einfachen HardwareAusstattung in Schulen oder bei den Schüler*innen zu Hause. Der überbordende und keineswegs leicht zu überschauende Funktionsumfang ist neben der Überforderung aus didaktischer Sicht vor allem auch enorm ressourcenhungrig. Auf technisch eher schwächer ausgerüsteten Endgeräten kann das durchaus schnell instabil werden. Eine Alternative wäre der Einsatz möglichst datensparsamer Anwendungen, die direkt im Browser ablaufen. Stillschweigend wird in Schulen weiterhin von einer „Windows-Welt“ ausgegangen, die aber schon längere Zeit nicht mehr der Realität der vielfältigen Betriebssysteme im „Hardware-Zoo“ der Schüler*innen-Endgeräte abbildet. Die erwähnte Windows-Monokultur führte – nebenbei bemerkt – schon in der Vergangenheit zu erheblichen Sicherheitsrisiken in Behörden, zum Beispiel beim so genannten „Bundeshack“.5

Fragen offen

Trotzdem bleiben die Fragen des Datenschutzes immer noch unbefriedigend beantwortet, ebenso die wesentliche Frage, ob das Innovationsvorhaben von den Personalräten kritisch begleitet und beurteilt werden kann oder eher nicht. Immerhin soll die gesamte digitale Tätigkeit der Lehrenden aufgezeichnet (tracking) und durch Algorithmen bewertet werden (scoring). Werden denn die Kollegien, die Schüler*innen und deren Eltern dazu befragt? Sind die teuer bezahlten MicrosoftPakete für sie das kleinere Übel, nur um sich nicht in ein anderes Programm einarbeiten zu müssen? „Aber wir alle bekommen doch Word und Excel gratis“? Wer das unbedingt möchte, kann auch bisher ohne Mühe einen völlig kostenfreien Zugang zu den Online-Varianten bei Microsoft beantragen. Als Lehrer*innen lernen wir bereits im Studium und Referendariat, dass wir Konzeptwissen und nicht Produktwissen unterrichten. Die Frage lautet doch: Wie schreibe ich eine Bewerbung mit einem Textverarbeitungsprogramm oder wie werte ich eine Statistik mit Hilfe einer Software für Tabellenkalkulation aus, anstatt zu fragen, wie Word und Excel funktionieren. Alternativen existieren doch bereits in Hülle und Fülle6 , zudem überwiegend kostenfrei. Stattdessen wird die strukturelle Abhängigkeit der Schulen, Behörden und Betriebe von einigen wenigen US-Technologiefirmen tradiert und zementiert. Schon seit Jahren bestehen offenbar Zweifel bezüglich des Vergaberechts7 und wird diese Abhängigkeit zum Beispiel in Dokus als „Microsoft-Dilemma“8 kritisiert. Allein für die Verlängerung des Supports für das längst antiquierte Betriebssystem Windows zahlte der Bund im vergangenen Jahr fast zwei Millionen Euro.9 Aus gewerkschaftlicher Sicht ist es nur schwer erklärbar, warum sich die beteiligten BBSen ausgerechnet hier den Wünschen der Arbeitgeber in dieser Weise beugen. Wie die Arbeitswelt der Zukunft tatsächlich aussieht, kann nur projiziert werden. Die kritische Abschätzung der Folgen von Softwareeinsatz beziehungsweise sogenannte kritische „digital literacy“ gehört nach Ansicht vieler Forschender sicherlich dazu. Kritik bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens nicht herumzunörgeln, sondern stellt ein wichtiges analytisches Instrument dar.10

Rote Ampeln

Auch Videokonferenzsysteme sind vielfältig verfügbar und werden auch regelmäßig evaluiert, zum Beispiel in Ampel-Form11. Microsoft und andere US-Anbieter wie Zoom schneiden hier allerdings regelmäßig schlecht ab („rote Ampel“), was die gesetzlich gebotene Datensparsamkeit betrifft. Selbst lokale Anbieter von „Komplettlösungen für die Schule“ unterziehen sich üblicherweise sicherheitsrelevanten ISO-Zertifizierungen und betreiben ganz selbstverständlich ihre Server ausschließlich in Deutschland12, was Microsoft seit Jahren zwar verspricht, aber nicht realisiert. Dennoch bieten BBSen sich ohne Zwang großzügig an, auch weiterhin frühzeitig Generationen von Schüler*innen (und Lehrer*innen) auf Microsoft-Produkten zu trainieren Fraglich bleibt, warum nicht die vielen Alternativen, die es auf dem digitalen „Markt“ gibt, genutzt werden. Denn es sollte auch nicht verschwiegen werden, dass für diese Plattform Lizenzen erworben werden müssen – diese müssen erneuert und fortlaufend bezahlt werden. Wenn die neuen digitalen Endgeräte für die Lehrkräfte kommen, wird hier die Frage erlaubt sein, wer beispielsweise solche Software bezahlt und letztendlich wartet. Auf Open-Source-Produkte zu setzen, ist dabei keineswegs wirtschaftsfeindlich, denn auch diese Programme tragen erheblich zur Wirtschaftskraft bei.13 Die durch Verzicht auf Abo- und Lizenzkosten freiwerdenden Mittel könnten tatsächlich in die dringend nötigen Fortbildungen fließen. Denn die Zeit ist vorbei, in der „einige nerdige Lehrer dafür sorgten, dass die Schulen weiterkommen.“14 Dieser Artikel möchte zu einer Debatte einladen. Der US-Musiker und Dichter Gil Scott-Heron prägte das mittlerweile zum geflügelten Wort gewordene Gedicht: „Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen werden.“ Gerade die Berufsbildner*innen sollten als innovative Lern-Coaches vorangehen und im progressiven Sinn vorn dabei sein. Das Wort frei in Bezug auf freie Software steht übrigens nicht für „frei“ im Sinne von Freibier, sondern im Wortsinn von Freiheit!

Sebastian Riks Politik- und Informatik-Lehrkraft in Ostfriesland

1 www.heise.de/news/Microsoft-Office-365-Die-Gruende-fuer-das-Nein-der-Datenschuetzer-4919847.html (8. Februar 2021)

2 www.datenschutzkonferenz-online.de/media/pm/20201113_pm_oh_videokonferenzsysteme.pdf (28. Februar 2021)

3 https://docs.microsoft.com/de-de/microsoft-365/admin/productivity/productivity-score?view=o365-worldwide (22. Februar 2021)

4 www.microsoft.com/de-de/microsoft-365/work-productivity-trends-report (22. Februar 2021)

5 www.heise.de/newsticker/meldung/Kommentar-zum-Bundeshack-Schluss-mit-Schlangenoel-und-Monokultur-3985144. html?seite=all (28. Februar 2021)

6 https://alternativeto.net/software/microsoft-office-suite (Stand: 22. Februar 2021)

7 www.heise.de/ct/artikel/Das-Microsoft-Dilemma-Windows-10-und-Office-in-Behoerden-3970996.html (28. Februar 2021)

8 „Das Microsoft-Dilemma“. Dokumentation unter anderem des RBB und Investigativjournalisten. https://programm.ard. de/?sendung=28205594559364 (lief am 8. April 2018)

9 https://tech-blogs.de/2021/01/07/bund-zahlte-2020-rund-2-millionen-euro-fuer-windows-7-support (28. Februar 2021)

10 Kristin Narr und Christian Friedrich: Medienkompetenz und Digital Literacy. 22. Februar 2021, https://m.bpb.de/lernen/digitale- bildung/politische-bildung-in-einer-digitalen-welt/324982/medienkompetenz-und-digital-literacy

11 www.datenschutz-berlin.de/fileadmin/user_upload/pdf/orientierungshilfen/2021-BlnBDI-Hinweise_Berliner_Verantwortliche_zu_Anbietern_Videokonferenz-Dienste.pdf

12 Zum Beispiel hier: https://swop.schule/sicherheit/

13 Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts (ISI) zwischen 65 und 95 Milliarden Euro Wirtschaftskraft in der EU. Zitiert nach www. heise.de/news/Studie-Open-Source-traegt-95-Milliarden-Euro-zur-EU-Wirtschaftskraft-bei-5047848.html (28. Februar 2021)

14 Zitat vom YouTube-„Netzlehrer“ Bob Blume, zitiert nach www.heise.de/news/Digitale-Schule-Zwischen-Wunsch-und-Wirklichkeit-5067449.html (28. Februar 2021)

15 https://de.wikipedia.org/wiki/The_Revolution_Will_Not_Be_Televised (28. Februar 2021)