Zum Inhalt springen

E&W

Mentoring auf Zeit – Wirkung fürs Leben

„Balu und Du“ an der BBS Syke

Imke Lehmkuhl ist Lehrerin an der Berufsbildenden Schule Syke und brennt von Anfang an für das Mentoringprogramm „Balu und Du“. Sie war selbst als Mentorin (Balu) tätig. Heute begleitet sie als Koordinatorin ihre Schüler*innen dabei, sich als Balus zu engagieren. Ein*e Balu verbringt ein Jahr lang wöchentlich Zeit mit einem Grundschulkind – seinem „Mogli”. Bei gemeinsamen Aktivitäten lernt das Kind ganz nebenbei vom großen Vorbild und auch die Balus entwickeln sich weiter. Das Mentoringprogramm Balu und Du kann an weiterführenden Schulen, Hochschulen und durch freie Träger oder Kommunen umgesetzt werden. Im Interview gibt Imke Lehmkuhl einen Einblick in die Chancen und Herausforderungen der Umsetzung und wertvolle Tipps für die Gründung.

Imke, wie bist du auf die Idee gekommen, einen Standort zu gründen? Welchen Beitrag kann soziales Mentoring zu gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen leisten?

Vor meiner jetzigen Tätigkeit als Lehrerin habe ich in der Jugendhilfe gearbeitet und da kam es immer wieder dazu, dass ein tatsächlicher Bedarf so wie er vom Jugendamt definiert wird – nicht mehr vorlag und Hilfen beendet wurden. Ich hatte oftmals das Gefühl, die Kinder brauchen noch etwas Niedrigschwelliges, um weiter begleitet zu werden. Ich war 2002 selbst als Balu tätig und so dachte ich daran, Balu und Du in Syke zu initiieren.

Zuerst wurde Balu und Du vom Jugendamt finanziert, um das Projekt für den Sozialraum zugänglich zu machen, und später dann an die BBS Syke angegliedert. Als ich in den Schuldienst eingetreten bin, konnte ich das Programm als Koordinatorin weiterführen. Ich habe das große Glück, dass mir als Lehrerin die Stunden für die Begleitung der Balus von der Schule gegeben werden. Die ganz klare Aussage der Schulleitung „Balu und Du findet statt und bleibt an unserer Schule“ ist ein Schatz, dadurch können wir uns ganz auf das Projektjahr fokussieren. Es ist für die Balu und DuStandorte allgemein von Vorteil, das Projekt langfristig zu denken.

Wenn es um die gesamtgesellschaftliche Wirkung geht, kommt mir gleich die Rede des Bundestrainers bei der EM 2024 in den Sinn. Diesen positiven Blickwinkel auf unsere Gesellschaft und auf den einzelnen Menschen sehe ich durch Mentoring umgesetzt. Es tut gut, etwas Gutes zu tun und ich glaube, das wirkt sich schlussendlich auf die Haltung in der Gesellschaft aus. Es kostet nicht viel, Menschen behilflich zu sein, sich zurechtzufinden, die vielleicht nicht so viel Glück im Leben hatten. Verteilt auf viele Schultern ist die Wirkung enorm und der personelle und finanzielle Aufwand überschaubar. Man übersieht schnell das Gesamtkonstrukt: Im Landkreis waren schon 235 Balus tätig, diese Personen sind sozial tätig und bringen die Kompetenzen aus Balu und Du weiter ein – da sprechen wir von einem immensen, langfristigen Mehrwert.

Was sind wiederkehrende Herausforderungen in der Umsetzung von Balu und Du? Und was war bisher das schönste Erlebnis in deiner Zeit als Koordinatorin?

Wenn ich die letzten 17 Jahre Revue passieren lasse, dann waren die Zeiten am herausforderndsten, in denen wir uns um die finanzielle Absicherung kümmern mussten. Vor allem in der Anfangszeit als kleiner freier Träger sorgte das unterschiedliche Haushaltsjahr zum Schulwesen für Schwierigkeiten. Letztendlich lohnt es sich aber, sich um eine stabile Finanzierung zu bemühen, denn Balu und Du gibt unheimlich viel zurück.

Ich kann mich an ein Gespann erinnern, das zum Ende ihrer Tandemzeit überlegte, wie sie die Beziehung nach dem gemeinsamen Jahr weiter gestalten wollten. Der Mogli meinte, die Balu würde sich sicher nicht weiter mit ihm treffen wollen, da sie ja nun kein Geld mehr dafür bekomme. Im Gespräch wurde dem Mogli dann erst klar, dass die Balu nie dafür bezahlt wurde und konnte gar nicht fassen, dass sich jemand einfach so mit ihm treffen wollte! Vor Kurzem bekam ich dann ein Foto von den Zweien vom 18. Geburtstag des Moglis. So viele Jahre später zeigt das Programm noch Wirkung und genau dafür engagiere ich mich für Balu und Du.

Aber es sind so viele Momente, die alle Beteiligten bereichern und einen Beitrag zu einem guten sozialen Miteinander leisten! Aufeinander achtzugeben und Herausforderungen zusammen anzugehen, brauchen wir mehr denn je. Die Balus setzen sich mit Lebenssituationen auseinander, die sie sonst nicht erlebt hätten. Durch unser wöchentliches Begleitseminar ist es möglich, schwierige Situationen im sicheren Raum zu besprechen und auch Erfolgserlebnisse zu teilen. Da schauen wir dann, worauf wir ein Auge bei Mogli haben müssen und auch was die Balus brauchen, damit es ihnen gut geht. Ich erlebe bei meinen Schüler*innen, dass sie einen großen Erfahrungsschatz sammeln und Handlungssicherheit in herausfordernden Situationen gewinnen. Wir wollen unseren angehenden Erzieher*innen mitgeben, dass sie eine Verantwortung für die Kinder haben und es manchmal Standhaftigkeit braucht, sich für ein Kind einzusetzen, um Veränderung zu bewirken.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit Unterstützer*innen, Partner*innen und Förderern vor Ort?

In Syke gibt es Balu und Du schon so lange, dass das lokale Netzwerk auf soliden Beinen steht und jeder Netzwerkpartner weiß, was wann zu tun ist. Das erfordert kontinuierliche Arbeit. Mittlerweile kommen immer mehr umliegende Grundschulen auf uns zu und empfehlen uns Kinder als Moglis, auch das Jugendamt vermittelt weiterhin an uns. Den Zuständigen im Landkreis Diepholz ist da Dank auszusprechen, die das Projekt damals beim Aufbau unterstützt haben. Eine Grundschule hat vor Kurzem die Hälfte der Erlöse eines Spendenlaufs als Taschengelder für gemeinsame Unternehmungen der Tandems gespendet. Aber auch ohne große finanzielle Mittel schaffen es die Balus, mit ihren Moglis eine gute Zeit zu verbringen. Erzieher*innen wissen, wie man mit wenig Ressourcen und Geld etwas Tolles auf die Beine stellt – und das lernen dann auch die Kinder.

Der Balu und Du e.V. unterstützt uns vor allem im Qualitätsmanagement. Der Verein hat Qualitätsstandards definiert, das sind unter anderem Maßnahmen und Vorgaben, um Kinderschutz im Programm sicherzustellen. Zudem ist es wichtig, die Balus durch das Programmjahr zu begleiten. Diese tragen ihre Erfahrungen regelmäßig in ein Tagebuchtool ein. Der organisatorische Aufwand drumherum ist schon hoch, aber so können wir die Kinder in guten Händen wissen. Gerade in der Gründungszeit ist diese Unterstützung sehr hilfreich und es ist gut, dass beim Verein immer jemand bereitsteht. Es ist schön zu sehen, dass einige ehemalige Balus später in verschiedenen Rollen im Netzwerk oder im Balu und Du e.V. weiter mit dem Programm zu tun haben. Und so findet nachhaltige Wirkung statt, das sehe ich sogar schon bei den Moglis! Ein früherer Mogli hat sich später bei uns in der Schüler*innenvertretung engagiert, das wirkt sich natürlich auf die Schulgemeinschaft aus.

Damit diese enge Zusammenarbeit entstehen konnte, brauchte es einen langen Atem. Die Arbeit zahlt sich aber aus. Wir stehen nun auf sicheren Beinen und das Programm ist mittlerweile felsenfest in Syke verankert!

Was nehmen sich die Balus für ihren weiteren Lebensweg mit?

Besonders gut bot sich die Implementierung des Programms als optionales Lernangebot im ersten Jahr der Fachschule Sozialpädagogik an. Es passt wunderbar zu den didaktischen Vorgaben unserer Rahmenrichtlinien und ist damit gerechtfertigt. Das ist eine absolute Win-Win-Situation, denn nicht nur die Moglis profitieren, sondern auch die Schüler*innen. Die Fachausbildung ist recht theorielastig und so ist die Festigung von Themen wie Entwicklungspsychologie im Grundschulalter oder Elternarbeit in der Praxis sehr gewinnbringend.

Was sich die Balus ganz klar mitnehmen, ist der Blick auf das Individuum über die Gruppenpädagogik hinaus. Sie stärken die Kompetenz, die Beziehung zu einem einzelnen Kind nicht nur aufzubauen, sondern aufrecht zu erhalten und dessen Bedürfnisse zu erkennen. Unsere Schüler*innen stärken Soft Skills wie Empathie und das Verständnis für andere Lebenswelten. Das ist im praktischen Zusammenhang noch authentischer lernbar als in konstruierten Settings im Unterricht. Außerdem nehmen sie auch ganz viel Freude mit! Die Balus berichten oft, dass die kurze Auszeit mit Mogli ihnen richtig gutgetan hat und beide Spaß hatten.

Die Wirkung auf die Balus geht über die Persönlichkeitsentwicklung hinaus. Das Programm zahlt ganz klar in die Demokratiebildung ein: Kinder werden bestärkt, ihre Rechte zu kennen, ihre Meinung kundzutun und zu wissen, wo sie sich Unterstützung suchen können. Die Kompetenz der Kompromissbereitschaft ist meiner Meinung nach eine Herausforderung, vor der wir gesellschaftlich gerade stehen, und da sehe ich Balu und Du als einen wichtigen Baustein für ein gutes Miteinander.

Auch beruflich ist das Programm für unsere Absolvent*innen eine gute Grundlage. Einige Balus berichten, dass es in Bewerbungsgesprächen um kaum etwas anderes als ihre Rolle bei Balu und Du ging, das freut mich natürlich. Die Balus gewinnen Schätze an Erfahrungen fürs ganze Leben!

Imke, welche Empfehlungen kannst du angehenden Balu und Du-Standorten mitgeben?

Erstens sollten sich Standorte bestmöglich auf finanziell sichere Beine stellen. Ich als Koordinatorin kann mich dann am besten auf die Begleitung der Balus fokussieren, wenn ich mir um die Finanzierung keine Sorgen machen muss. Was die finanzielle Ausrichtung angeht, hat sich für uns ein fester Partner bewährt. Zweitens empfehle ich, sich die Rolle der Standortkoordination zu teilen. Die Aufteilung der fachlichen Begleitung der Balus kann für Entlastung sorgen. Sich eine gute Struktur und langfristige Partnerschaften zu erarbeiten, um das Projekt effizient durchzuführen, halte ich für unser Erfolgsrezept.

Sinnvoll ist es, den Balus ihre Zeit anzuerkennen oder an anderen Stellen Entlastung zu verschaffen. Bei uns an der BBS Syke belegen Balus beispielsweise nur einen statt zwei Wahlpflichtkurse, das ist ein netter Anreiz für die Balu-Gewinnung.

Schlussendlich muss man vom Konzept überzeugt sein und erleben, was es bringt, dann kann man nicht mehr aufhören. „Alles, was guttut, und davon ein bisschen mehr“ – das setzen wir in Syke auch so um. Balu und Du ist eine Konstante an der BBS Syke und nicht mehr wegzudenken!