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Land kürzt Hochschulen kaputt

Studien- und Forschungsvielfalt in Niedersachsen massiv gefährdet Die Hochschulen in Niedersachsen sind in einem Dilemma: Bereits seit 2019 müssen die Hochschuletats ein Prozent einsparen – rund 24 Millionen Euro im Rahmen der Globalen Minderausgaben (GBA). Hatte man gehofft, durch zeitliche Verzögerungen bei Stellenbesetzungen und ähnliche Sparmaßnahmen diese Kürzungen auffangen zu können, erfolgte im Herbst 2020 der erste pandemiebedingte Kürzungshammer und so sind es aktuell über 30 Millionen Euro, die die Hochschulen weniger an finanziellen Mitteln zur Verfügung haben. Doch nicht genug: es ist damit zu rechnen, dass bei den diesjährigen Haushaltsverhandlungen des Landes noch weitere – pandemiebedingte – Kürzungen auf die Hochschulen zukommen.

Bereits seit mehreren Monaten versuchen sich die Hochschulleitungen auf diese Kürzungen vorzubereiten und so fanden bislang hinter sehr verschlossenen Türen Gespräche statt, wie man denn kürzen könnte. So wurden zunächst die altersbedingt freiwerden Professuren sowie zeitlich befristeten Stellen aufgelistet – landesweit rund 100 Stellen. Dies führt unter anderem auch zu Streichungen und sogar Schließungen von Studiengängen, die sich quer auf das gesamte Studienangebot und Forschungsschwerpunkte auswirken. Allein an der Leibniz Universität Hannover sollen 24 Professor*innenstellen nicht wiederbesetzt beziehungsweise gestrichen werden. Dies betrifft vor allem Bereiche aus gesellschaftlich relevanten Themen: Klima, Inklusion, Lehrer*innenbildung, Geschichte Afrikas, Städtebauentwicklung, IT – größtenteils bundesweit einzigartige Studien- und Forschungsangebote. Seitens der Fakultäten wurde bisher mit vielfältigen Aktionen, vor allem Petitionen, reagiert, doch die meisten Hochschulleitungen verhalten sich diesbezüglich eher schweigend. Auch das Wissenschaftsministerium hält sich öffentlich sehr ruhig. Man kann sagen, der Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) unterstützt das Bemühen der Fakultäten bisher nicht. Auch kämpft er nicht wirklich bei der Landesregierung um den besonderen Stellenwert der Hochschulen.

Richtungsentscheidungen

Mit diesen und weiteren Kürzungen und Sparmaßnahmen versuchen der Wissenschaftsminister wie auch die Landesregierung, das Studien- und Wissenschaftsangebot in Niedersachsen neu auszurichten. Mit viel Energie und finanzieller Unterstützung strukturiert Wissenschaftsminister Thümler unter anderem die Medizinausbildung und auch -forschungsschwerpunkte neu. So soll neben den traditionellen medizinischen Hochschulstandorten (Hannover und Göttingen) vor allem der Standort Oldenburg ausgebaut werden. Hier sei daran erinnert, dass bereits vor Jahren sehr viel Geld für den Aufbau von Medizinstudienplätzen im Rahmen der niederländischen Kooperation und der Universität Oldenburg (European Medical School) investiert wurde. Aber Medizinstudienplätze sind sehr teuer und ohne weitere zusätzliche finanzielle Unterstützung des Landes auch in Oldenburg kaum realisierbar. Bereits 2018 hat die Niedersächsische Landesregierung den Masterplan Digitalisierung beschlossen, wo in den nächsten Jahren mehr als eine Milliarde Euro in allen Bereichen investiert werden sollen. Doch im Wissenschaftsministerium läuft dieser Prozess nur sehr langsam. Bislang ist keine der versprochenen neuen 18 Digitalisierungsprofessuren ausgeschrieben und besetzt worden. Immerhin wurden mittlerweile 14 sozialwissenschaftliche Projekte vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) und der Volkswagenstiftung mit 7,9 Millionen Euro Fördermitteln aus dem „Niedersächsischen Vorab“ der Stiftung auf den Weg gebracht. Ungeklärt ist aber auch noch, wo das geplante Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN) angesiedelt wird, und Aufbau und Umsetzungen der niedersächsischen Digitalisierungsoffensive laufen seitens des Wissenschaftsministeriums nur sehr langsam. Exzellenz ohne Zukunftsstrategie Schatten und Probleme gibt es auch mit der nächsten bundesweiten Bewerbungsrunde von Exzellenzuniversitäten und -clustern bei den niedersächsischen Hochschulen. Auch wenn die Exzellenzstrategie erst wieder 2025 weitergeht, möchte das Wissenschaftsministerium die Universitäten in Niedersachsen auf ihre Spitzenforschung checken und hat daher die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (WKN) damit beauftragt. Nun dürfen die Universitäten, die gerade durch die Kürzungen und Streichungen in einer schwierigen Lage sind, auch noch wettbewerbliche Konzepte entwickeln, um in der Spitzenforschung mitzumachen. Bereits bei den vergangenen Bewerbungen hatten die niedersächsischen Hochschulen schon erhebliche Schwierigkeiten, die Gutachter*innen zu überzeugen. Immerhin werden die Universitäten Oldenburg, Hannover, Braunschweig und Göttingen mit Exzellenzclustern, einer sogenannten zweiten Förderlinie, unterstützt. Die Fokussierung auf Exzellenz ist fatal. Dies spürt gerade auch die Universität Göttingen massiv. Durch ihre frühere Bewerbung als Exzellenz-Universität hat es einen deutlichen Stellenaufwuchs gegeben, der nun mehr auch die landesweiten Sparauflagen erheblich mit beeinflusst. Insgesamt steht aber auch die Zukunft der aktuellen Exzellenzcluster auf der Kippe. Hier ist die Förderung der 18 Juniorprofessuren aus dem bundesweiten Programm für Tenure Track ungewiss. Auch die Landeshochschulkonferenz (LHK), die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (WKN) und weitere führende Wissenschaftler*innen aus den in Niedersachsen ansässigen Instituten und Zentren der Max-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, der Fraunhofer Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft haben in einer gemeinsamen Erklärung vor den Kürzungen im tertiären Bildungssektor gewarnt. So machen sie sich berechtigte Sorgen, dass der kürzungsbedingte Abbau an den Hochschulen eine massive Schwächung der Konkurrenzfähigkeit in doppelter Hinsicht bedeutet, hatten doch die Gutachtenden der letzten Runde der Exzellenzstrategie vor allem auch die geringe internationale Prägung und Vernetzung der niedersächsischen Wettbewerbsteilnehmenden bemängelt, die auch zu einer Schwächung bei Drittmitteln und anderem führt.

Neue Wege möglich

Bereits im März 2020 legte die Landeshochschulkonferenz (LHK) Niedersachsen einen Bericht zum Investitionsstau an den Hochschulen vor. Laut ihrer Berechnung sind 4,3 Milliarden Euro für Sanierung, Modernisierung und Ausbau der Hochschulen notwendig. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat im Februar 2021 zur Finanzierung einen Vorschlag für die Gründung einer Niedersächsischen Hochschulentwicklungsgesellschaft (N-HEG) vorgelegt, mit dem Ziel, die Finanzierung der dringend notwendigen Hochschulinvestitionen in Niedersachsen sicherzustellen – unabhängig von Kassenlage und konjunkturellen Schwankungen (siehe auch E&W Niedersachsen 1/2021, S. 11). Hochschulentwicklungsvertrag? Der vom Land Niedersachsen mit den Hochschulen geschlossene Hochschulentwicklungsvertrag, der den Hochschulen finanzielle Planungssicherheit bis Ende 2021 garantiert, muss unter diesen finanziellen Entwicklungen dringend neu verhandelt werden. Die Landeshochschulkonferenz hofft darauf, dass der Folgevertrag konkrete Teilziele für den Zeitraum bis 2030 in den Blick nehmen und von einer gemeinsamen hochschulpolitischen Vision des MWK und den Hochschulen getragen werden sollte. Dabei geht die LHK von drei Eckpunkten, die gleichzeitig die Ankerpunkte im Hochschulentwicklungsvertrag ab 2022 bilden sollen, aus: Hochschulfinanzierung, Infrastrukturen – Hochschulbau, Bauunterhalt und Sanierung sowie Digitalisierung (siehe „Vision 2030 – für eine zukunftsweisende Weiterentwicklung der Hochschulen in Niedersachsen“). Bislang hat das Wissenschaftsministerium noch keine verbindlichen Aussagen über den Fortbestand des Hochschulentwicklungsvertrages gemacht. Ausbildung und Forschung In den Hochschulen haben sich diverse Bündnisse gegründet, um über die Folgen der Kürzungen zu beraten und sie auch in die Öffentlichkeit (unter anderem durch Petitionen) zu tragen. In Hannover gibt es beispielsweise die Gruppe Studentische Belange, die für Mai öffentliche Proteste plant. Die GEW Niedersachsen unterstützt die Aktivitäten und Proteste und erwartet von der Landesregierung, dass bei den diesjährigen Haushaltsberatungen die Globalen Minderausgaben bei den Hochschulen zurückgenommen werden. Die GEW erwartet auch von den Hochschulen einen transparenten Diskussionsprozess in den Hochschulen und nicht das Prinzip „die großen gegen die kleinen Fachbereiche“. Die Vielfalt der Studien- und Wissenschaftsangebote darf nicht nach dem Rasenmäherprinzip wahllos gekürzt beziehungsweise gestrichen werden, um ein breit gefächertes Angebot aufrecht zu erhalten, aber auch zu entwickeln. Es geht um die Zukunft des Wissenschaftsstandorts Niedersachsen! Überdies erwartet die GEW endlich einen offenen Dialog, vor allem in den demokratisch gewählten akademischen Gremien. Die Hochschulleitungen und vor allem der Wissenschaftsminister müssen sich endlich der Öffentlichkeit stellen und ihre Ideen oder Vorschläge vorlegen. Die Zeit drängt, die Verhandlungen – inklusive der nächsten pandemiebedingten Kürzungen – stehen unmittelbar an. Es sind nicht nur Professuren gefährdet, sondern auch Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und weitere Hochschulbeschäftigte. Die Landesregierung muss verstärkt mit der hohen Prekarisierung in Hochschule und Forschung (über 90 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten sind befristet) verantwortungsvoll umgehen – die Beschäftigten warten immer wieder auf gute Lösungen. Und letztlich fehlen den Hochschulen auf Grund der maroden Gebäude und mangelnden Sanierungen mehrere Milliarden Euro. SPD, Grüne und der DGB sowie die GEW fordern daher ein Hochschulinvestitionsprogramm. Die GEW Niedersachsen regt wie auch andere Verbände und Organisationen an, die Spielräume der Schuldenbremse zu nutzen. Und fordert den Wissenschaftsminister sowie die Landesregierung auf, sich für eine auskömmliche Finanzierung einzusetzen. Die Zeit drängt! Die Hochschulen haben sich gerade erst langsam wieder von den Folgen des vor 15 Jahren beschlossenen Hochschuloptimierungskonzepts (HOK) durch die damalige schwarz-gelbe Landesregierung erholt. 

Sabine Kiel (Stellvertretende Landesvorsitzende)