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Es wird Zeit dafür!

Stärkung der Demokratiebildung an berufsbildenden Schulen Der Bildungsauftrag aller Schulen, insbesondere der berufsbildenden Schulen nach Paragraph 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes, stellt zugleich die Ziele politischer Bildung in allen Bereichen der Schulen dar. Hierzu gehören die Demokratiebildung, das interkulturelle Lernen und die Umsetzung der Inklusion. Die Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Staatsform ist mehr denn je in Gefahr: zunehmende Spaltung der Gesellschaft, zunehmende klimatische Bedrohung der Welt, zunehmende revolutionäre Veränderungen der Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen durch Digitalisierung und ein zunehmender Extremismus in verschiedenen Formen. Es wird Zeit, sich intensiver mit der Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft und Wirtschaft an berufsbildenden Schulen zu beschäftigen.

Doch wie sieht die Situation der politischen Bildung als Unterrichtsund Gestaltungsprinzip und zugleich die Situation des Unterrichtsfachs Politik an berufsbildenden Schulen wirklich aus? Sicher ist positiv zu bewerten, dass es seit 1994 sehr handlungsorientierte und politische Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach Politik an berufsbildenden Schulen gibt. Doch die tatsächliche Schul- beziehungsweise Unterrichtssituation – auch in Niedersachsen – sieht anders aus, als die modernen Lehrpläne es vermuten lassen (siehe zum Beispiel die Ergebnisse des „Monitors politische Bildung an beruflichen Schulen“ von 2014, herausgegeben als Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band Nr. 1457): Zum einen wirken die Vorgaben der Kultusminister*innenkonferenz für das Prüfungsfach Wirtschafts- und Sozialkunde als heimlicher Lehrplan und zum anderen wird der Politikunterricht viel zu häufig von fachfremden Kolleg*innen eher stofforientiert unterrichtet. Der Anteil von Schüler*innen, die mit rechtsextremem Gedankengut sympathisieren, ist Studien zufolge an beruflichen Schulen nicht unerheblich. Gerade deswegen könnte der Politikunterricht eine besondere Bedeutung haben. Viele ausgebildete Politiklehrkräfte schätzen das Image der politischen Bildung jedoch sehr pessimistisch ein. Im Bildungsgang des Beruflichen Gymnasiums sind nur zwei Schulhalbjahre Politik in der Einführungsphase vorgesehen und somit kann das Unterrichtsfach nicht einmal als Prüfungsfach gewählt werden, es hat also seit Jahrzehnten keine wirkliche Bedeutung am Beruflichen Gymnasium. In der bisherigen Neuordnung der Berufseinstiegsschule BES 2020 findet sich in der Klasse 1 im berufsübergreifenden Lernbereich das Unterrichtsfach Politik (wie auch andere allgemeinbildende Fächer) überhaupt nicht mehr wieder, obwohl in den gültigen Rahmenrichtlinien Politik an berufsbildenden Schulen (2017) auf Seite 3 folgende Ziele und didaktische Grundsätze formuliert sind: „Die Rahmenrichtlinien sind für den Politikunterricht an allen Schulformen des berufsbildenden Schulwesens konzipiert. Diese Zusammenfassung ergibt sich aus dem für alle gleichen Anspruch auf politische Bildung mit dem Ziel der chancengleichen Teilhabe am politischen Leben. Jede Schülerin und jeder Schüler soll politisch urteils- und handlungsfähig werden, so dass sie oder er sich demokratisch verhält, sich selbstständig informiert, eigene Urteile bildet und artikuliert sowie fremde Urteile hinterfragt.“ Die Kompetenz, Politische Bildung als Unterrichtsprinzip in allen Schulformen des berufsbildenden Schulwesens umzusetzen, wird im Vorbereitungsdienst an den Studienseminaren zersplittert in die Basiskompetenzen Inklusion und interkulturelles Lernen. Dabei wäre es im Sinne Georg Kerschensteiners, des Vorreiters der Berufsschule, mehr als notwendig, dass jede/r Berufschullehrer*in im Vorbereitungsdienst politische Bildung als grundlegendes Unterrichtsprinzip, welches vor allem durch die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses in einer Demokratie geprägt sind, umzusetzen lernt. Nur wenige Hochschulorte bieten ein Studium des Unterrichtsfaches Politik an berufsbildenden Schulen an, der Standort Universität Göttingen baut zudem am Politikdidaktik-Lehrstuhl von Prof. Dr. Monika Oberle die Kapazität der Studienplätze von zehn auf vier im Semester ab. Wegen dieser Problembereiche der politischen Bildung setzt sich das Referat Berufliche Bildung und Weiterbildung der GEW Niedersachsen seit längerem politisch für die Stärkung der Demokratiebildung ein und hat unter anderem einen landesweiten Berufsschultag 2019 dazu gestaltet. Folgende Änderungen sind zur Stärkung der Demokratie an berufsbildenden Schulen vorzunehmen: Die Erhöhung des Stundenanteils in den Stundentafeln BBS-VO der berufsbildenden Schulen auf zwei Wochenstunden in allen Bildungsgängen ist zwingend notwendig.

1. Im letzten Ausbildungsjahr ist in den Dualen Bildungsgängen mindestens eine zusätzliche Halbjahreswochenstunde zur angemessenen Vorbereitung auf das Prüfungsfach Wirtschafts- und Sozialkunde der Kammerprüfungen vorzusehen.

2. Zudem setzt sich das Referat für die Schaffung eines neuen Unterrichtsfaches Politik/Geschichte mit durchgehendem Stundenanteil im Beruflichen Gymnasium ein, so dass es auch als Prüfungsfach gewählt werden kann.

3. Weiterhin sollte eine entsprechende Materialienkommission für das Unterrichtsfach Politik in der Berufseinstiegsschule und den Berufsfachschulen beim NLQ zur Unterstützung der Lehrkräfte in diesen sogenannten bildungs- sowie politikfernen Gruppen zeitnah eingerichtet werden. Die Ausbildungskapazitäten im Unterrichtsfach Politik an Hochschulstandorten in Niedersachsen sollten gesichert und ausgebaut werden.

4. Um das Image und die Einstellungsquoten von ausgebildeten Berufsschullehrkräften mit dem Unterrichtsfach Politik zu erhöhen, sollte das Kultusministerium das Unterrichtsfach Politik an berufsbildenden Schulen zeitweise als Mangelfach definieren.

5. Abschließend sollten die Studienseminare für das Lehramt an berufsbildenden Schulen klar und deutlich den Auftrag erhalten, den Bildungsauftrag des Niedersächsischen Schulgesetzes und damit das Unterrichtsprinzip der politischen Bildung in den pädagogischen Seminaren intensiv zu thematisieren und entsprechende Kompetenzen bei den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst und Quereinsteigenden zu fördern.

Der sich derzeit in der Anhörung befindende Grundsatz-Erlass des Kultusministeriums zur Stärkung der Demokratiebildung an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen ist ein wichtiger Schritt im Sinne der politischen Bildung an BBSen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob der aktuelle Aufruf von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auch in Niedersachsen ernst genommen wird: „Jetzt leben wir seit 30 Jahren in Einheit, Freiheit und Demokratie. Nur: Nehmen wir das bitte nicht als selbstverständlich! Wir brauchen die Demokratie – aber ich glaube: Derzeit braucht die Demokratie vor allem uns!“ (Weihnachtsansprache 2019).

Olaf Ansorge für das Referat Berufliche Bildung und Weiterbildung