Erhebliche Frustration: Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst
Das Referendariat unterbrechen oder sogar abbrechen? Unter Einfluss der Pandemie spielen wohl immer mehr Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiVD) mit solchen Gedanken. In einer im Frühjahr von der Jungen GEW durchgeführten Umfrage unter allen LiVD in Niedersachsen bestätigte sich deren enorme Frustration. Mit der großen Menge an Rückmeldungen im Rücken bildete sich eine Arbeitsgruppe um die Junge GEW und das Referat Ausbildung, Fortbildung, Hochschule und Forschung (AFHF) des Geschäftsführenden GEW-Vorstands, die die Ergebnisse auswertete und Forderungen für die Verbesserung der Ausbildungsbedingungen für LiVD entwickelte.
Dabei sollen kurzfristig angelegte Forderungen helfen, die akut belastende Situation zu entschärfen. Dazu zählt unter anderem die Wahlmöglichkeit für LiVD, die eigene Prüfung in Kolloquiumsform durchführen zu können, insofern die Gemeinsamen Unterrichtsbesuche im Laufe der Ausbildung ebenfalls in dieser Form durchgeführt wurden. Außerdem fordert die Arbeitsgruppe eine Reduzierung der verpflichtenden Anzahl von Unterrichtsbesuchen für betroffene Jahrgänge sowie die Ersetzung der schriftlich anzufertigenden Arbeit, weil diese stark an den Präsenzunterricht in der Schule geknüpft ist und daher auf mehr als nur wackeligen Beinen steht. Vielfach kritisiert wurde ebenfalls die mangelnde Transparenz in der Lehrkräfteausbildung. Zwar stehen alle LiVD im ständigen Austausch mit ihren Ausbilder*innen, erhalten aber erst ganz am Ende ihrer Ausbildung Auskunft über die für die darauffolgenden Bewerbungen wichtige Note. Um die Ausbildung zukünftig transparenter und kompetenzorientierter zu gestalten, sollte der Vorbereitungsdienst durch ein regelmäßiges, einmal pro Ausbildungssemester stattfindendes Ausbildungsgespräch ergänzt werden, in dem bereits neben den zu schulenden Kompetenzen eine erste Notentendenz kommuniziert wird. Zudem sollte seitens der Studienseminare eine verpflichtende Evaluation zur Verbesserung der Ausbildungsbedingungen eingeführt werden, in der die Ausbildungsjahrgänge und die Ausbildenden zur Qualität der Ausbildung befragt werden. Mit diesen und weiteren Forderungen setzt sich die GEW Niedersachsen für eine nachhaltige Verbesserung der Ausbildung junger Lehrer*innen ein und ist an das Kultusministerium herangetreten. In einem ersten Gespräch mit Kultusminister Grant Hendrik Tonne wurde ihm die Problemlage nähergebracht. Der Minister kündigte dabei an, sich der Angelegenheit anzunehmen.
Adrian Knapik/Red.
Der 28-jährige Lehramts-Referendar Marvin Urban berichtet aus der Praxis
„Als ich mich für das Lehramtsstudium entschieden hatte, war meine oberste Motivation die Unterrichtsdurchführung mit Kindern und Jugendlichen. Der Gedanke, dass ich jungen Menschen eines Tages etwas beibringen, etwas vermitteln könnte, erfreute mich und war der Grundstein für meine Entscheidung, Lehrer zu werden. Nun ist es in Hannover, wo ich studiert habe, so, dass der Praxisanteil an der Lehrerausbildung eher gering ist. Umso mehr freute ich mich auf das Referendariat und den dortigen Fokus auf eben diese Schulpraxis. Und diese Schulpraxis ist es, die mir nun schon seit Monaten fehlt. […] Wir sollen einmal voll ausgebildete Lehrkräfte sein, die die Schülerschaft dieses Landes zu eigenständigen und gebildeten Menschen erziehen. Für diese Ausbildung bedarf es einer grundsätzlichen Voraussetzung: Schulpraxis! Doch genau dieser elementare Baustein meiner, unserer Ausbildung fehlt seit Monaten für die meisten, für mich komplett. […] Wie soll ich praxisbezogene Kompetenzen erwerben, wenn die Praxis fehlt? Wie soll ich ein Gefühl für den Lehrerberuf bekommen, wenn mein Arbeitsstandort dauernd geschlossen ist? Wie soll ich meine Stärken und Schwächen ausloten, wenn ich diese wegen der fehlenden Praxis gar nicht entdecken kann? Wie soll ich mich als Mensch, als Lehrer, als Lehrerin in meiner Schule sozial entfalten und wohlfühlen, wenn jeglicher Praxisbezug fehlt? Und wie sollen die verantwortlichen Ausbilderinnen und Ausbilder mich bewerten, beurteilen, benoten, wenn der enge Schulpraxisbezug, der ja rechtlich eindeutig innerhalb meiner Ausbildung verankert ist, fehlt? […] Ich mache mir nicht nur Sorgen um die Qualität meiner Ausbildung, nein, ich habe sogar Angst vor dem letztendlichen Ergebnis, weil ich als Referendar, der vielleicht irgendwann mal fertig „ausgebildet“ worden ist, wenn diese Pandemie irgendwann vorbei ist, in einen wieder normalisierten Schulalltag zurückkehre, ohne dass ich diesem Beruf richtig gewachsen bin. […]“