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Silversurfing im World Wide Web

Digitalisierung und Alter

Im Rahmen der „GEW & Equality Talktime“-Veranstaltungen fand bereits vor der Sommerpause ein digitales Zusammentreffen von fast siebzig Kolleg*innen zum Thema „Digitalisierung und Alter“ statt. Zu diesem Format hatte der Arbeitsbereich Frauen-, Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik an jedem dritten Mittwoch eines Monats eingeladen.

Es war doch sehr erfreulich, wie viele Menschen – nicht nur GEW-Mitglieder – sich zugeschaltet hatten. Das macht Lust auf mehr. Gut, dass die Reihe im Herbst fortgesetzt wird. Moderiert wurde die Veranstaltung von Janina Henkes, Referentin im Arbeitsbereich Frauen-, Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik. Im Chat der Videokonferenz wurde dies sehr gelobt. Neben dem Dank für die Denkanstöße, Ideen und Mut machenden Möglichkeiten wurden gleich hilfreiche Internet-Adressen ausgetauscht und sich auf eine Fortsetzung eines solchen Treffens gefreut. Dieser Arbeitsbereich Frauen-, Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik der GEW auf Bundesebene soll sicherstellen, ehrenamtlich und hauptamtlich auch die Interessen der Senior*innen zu vertreten; denn die Bildungsgewerkschaft steht für Solidarität, Vielfalt und Diskriminierungsfreiheit. So wird der Begriff des „Silversurfing“ weniger als Diskriminierung begriffen, sondern vielmehr als Herausforderung für die Etablierung von geschlechtersensiblen und gleichstellungsorientierten Bildungsangeboten gesehen. Dabei geht es nicht nur um Gleichstellung und Vielfalt, sondern auch um Handlungsoptionen und Empowerment.

 

Daseinsvorsorge
Dr.in Regina Görner, stellvertretende Vorsitzende der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen), erläuterte in der Talktime zuerst, inwiefern der Zugang zum Internet und zu internetbasierten Diensten zu unverzichtbaren Bestandteilen einer öffentlichen Daseinsvorsorge gehört und wie der Technikerwerb auch in Krisenzeiten gewährleistet werden kann. Dazu fordert die BAGSO – wie auch der GEW-Bundessenior*innenausschuss in seinen Anträgen zum Gewerkschaftstag 2021 – eine selbstbestimmte soziale, kulturelle, politische und digitale Teilhabe für Ältere. Neben einer barrierefreien Ausstattung braucht es auch passgenaue Fortbildungsangebote in den verschiedenen Einrichtungen der Senior*innen – und das nicht nur in den Altenlohn- und Pflegeheimen. Deutlich formuliert sind die Vorstellungen der BAGSO, der auch die GEW als eine von rund 125 Organisationen angehört, im Positionspapier „Digitalpakt Alter“ mit einer „digitalen Grundversorgung in allen Wohnformen älterer Menschen“. Ähnlich wie im Digitalpakt Schule sind hier sachliche und personelle Ressourcen bereitzustellen. Der Digitalpakt Alter ist als eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft angelegt. Initiatoren des Digitalpakts Alter sind das Bundesministerium (BMFSFJ) und die BAGSO. Parallel auch zu den Forderungen des DGB zur Bundestagswahl 2021 wurden die folgenden Punkte herausgestellt: ƒ Es ist dringend notwendig, dass ältere Menschen ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben führen können. Dazu muss die soziale Teilhabe gefördert und gesichert
werden, auch die Teilhabe am digitalen Leben. Gleichzeitig allerdings geht es auch darum, dass nach wie vor analoge Zugänge ohne zusätzliche Kosten für ältere Menschen offen gehalten werden. Deutlich wird auch, dass es bei
der Frage der Digitalisierung und deren Nutzung durch Seniorinnen und Senioren eine tiefe soziale Spaltung gibt. Nicht alle verfügen über genügend Mittel, um sich entsprechende Ausrüstung und Zugänge bei der Digitalisierung zu sichern und diese auch zu nutzen. Auch hier gilt es deutlich zu machen, dass entsprechende Unterstützungen notwendig sind. ƒ Weiterhin muss ein Digitalpakt für Ältere dringend die entsprechende Ausstattung von Begegnungsstätten für ältere Menschen oder/ und Alten- und Pflegeheimen umfassen, wie zum Beispiel Bibliotheken, Volkshochschulen und so weiter. Hierzu sind Mittel auf Bundesebene bereitzustellen, analog dem Digitalpakt Bildung. Mit der Benennung eines Traums beschloss Görner ihre Ausführungen. Ähnlich wie es für die Schulung des richtigen Verkehrsverhaltens vor Jahrzehnten die kurzen Einspielungen des „7. Sinns“ im öffentlichrechtlichen Fernsehen gab, sollten heute leicht verständliche Tipps für die Nutzung der digitalen Medien gegeben werden. Das würde allen Generationen zu Gute kommen!

Sicherheit im Netz
Im zweiten Teil der Talktime ging Rechtsanwalt Christopher Kunke auf das – nicht nur bei den Senior*innen – ausgeprägte Interesse an Sicherheit im Netz und in der Kommunikation ein. Der Umgang mit Zugangsdaten bereitet immer wieder Probleme. Falls mehrere Passwörter benötigt werden, kann die Nutzung eines Passwort-Managers sinnvoll sein. Sollen Anfänger*innen an die Nutzung des Computers herangeführt werden, muss vor allem die Angst, durch Fehleingaben Schaden anzurichten, abgebaut werden. Dies geschieht am besten durch kleinschrittige, niederschwellige Übungen, die recht bald ein Erfolgserlebnis vermitteln. Sehr treffend äußerte sich zusammenfassend ein Teilnehmer der Talktime:
„Als pensionierter Berufsschullehrer für Mediengestalter war für mich der Beitrag von Christopher Kunke, der ein auf Datenschutz spezialisierter Rechtsanwalt ist, besonders informativ und anregend. Seine von einigen Teilnehmern als Warnung vor dem Netz verstandenen Beispiele, sehe ich als wichtige Themen für die Schulung von Silversurfern. Gerade an seinen Beispielen lässt sich sehr gut verdeutlichen, wie das Netz funktioniert, welche Metadaten zum Beispiel
hinter Fotos stecken können, aus welcher Region, welchem Betriebssystem und welcher Sprache der Benutzer zugreift, welche Suchaufträge er gibt, welche Seiten er besucht, wie er sich zum Beispiel auch bei Zugangskennungen schützen kann. Hier hätte ich mir sehr viel mehr Zeit mit Christopher Kunke gewünscht bzw. ausführliche Fortsetzungen. Wer mehr über die Funktionen des Netzes weiß, hat weniger Ängste, kann sich besser schützen und die enormen Möglichkeiten des Netzes nutzen.“

Rege Diskussion
Den beiden Ausführungen schloss sich eine rege und intensive Diskussion an. Betont wurde dabei das Recht auf analogen Zugang zu Behörden und der Erhalt notwendiger Dienstleistungen. Nach Ansicht der BAGSO beispielsweise muss es ein Recht auf technische Unterstützung geben, wenn sie möglich und gewünscht ist. Gleichermaßen muss es ein Recht auf ein Leben ohne digitale Medien und autonome technische Systeme geben. Neben der Möglichkeit der Selbstermächtigung und Emanzipation im Umgang mit dem Internet muss es eine Gleichheit der Lebensbedingungen geben. Die Vielfalt der Altersbilder verbietet hier eine einseitige Festlegung. Als erforderlich werden auch gemeinsame Aktivitäten der Verbraucher*innen gegenüber den Industrieanbietern gesehen, die eine Ausnutzung der Technik und der Daten kritisch hinterfragen müssen. Notwendig ist zudem die Entwicklung von zielgruppenorientierten Fortbildungsmaterialien – auch für Senior*innen. Nicht alle über 60-Jährigen haben den digitalen Schock während der Pandemie mitgemacht; von den über 65-Jährigen ist nur jede zweite Person online unterwegs. Anzustreben ist auch eine Intergenerationalität der Bildungsangebote: beispielsweise Patenschaften zwischen Jung und Alt, Erfahrenen und Neueinsteiger*innen, mit einem Austausch von neuen Optionen einerseits und kritisch reflektierten Sicherheitsfragen andererseits. Auf diese Weise lassen sich bessere Kompetenzniveaus aufbauen; Silversurfing kann so zu einer wechselseitigen Bereicherung werden und Vorurteile zwischen Jung und Alt abbauen helfen!

Hinweis: Im Herbst wird die Talk-Time mit neuen Themen fortgesetzt und findet an jedem dritten Mittwoch des Monats statt. Infos und Anmeldung: www.gew.de/talktime, Kontakt: janina.henkes(at)gew(dot)de

Ute Wiesenäcker (Landesverband Niedersachsen)
und Manfred Doetsch (Landesverband Bayern)
Mitglieder im Leitungsteam des Bundessenior*innenausschusses

Materialien zum Thema
BAGSO - bagso.de: Positionspapier „Jetzt erst recht“, erschienen September 2020, unter anderem mit der Formulierung der ersten Lehren aus der Corona-Pandemie. Positionspapier DGB Senior*innen: Forderungen zur Bundestagswahl 2021 und DGB senior_innenpolitische Eckpunkte, Download im DGB Shop Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): www.bagso.de/projekte/servicestelle-digitalisierung-und-bildung-fuer-aeltere-menschen