„Die Schuldenbremse ist ökonomisch falsch und muss korrigiert werden“
Experten-Interview zur Ausgabenfinanzierung Die Landesregierung wird in diesem Sommer den Haushalt für das kommende Jahr eintüten, möglicherweise sogar für die beiden Jahre 2022 und 2023 zusammen.
Wegen der Schuldenbremse werden dabei viele der von den Gewerkschaften geforderten Investitionen in die öffentliche Infrastruktur dem Spardruck zum Opfer fallen, insbesondere bei den Schulen und Hochschulen. Die E&W Niedersachsen sprach darüber mit Johannes Grabbe, Abteilungsleiter für Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik beim DGB Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt.
E&W: Was bedeutet die Schuldenbremse für Niedersachsen?
Johannes Grabbe: Die Politik setzt sich mit der Schuldenbremse Handlungsgrenzen. Sie ist eine Selbstbeschränkung und damit eine Absage der Politik an die eigene Gestaltungsfähigkeit, mit dem vermeintlichen Ziel, eine ausufernde Staatsverschuldung zu verhindern. Sinnvolle öffentliche Investitionen, auch mit einer langfristigen Perspektive, bleiben dadurch auf der Strecke. Wenn wegen einbrechender Steuereinnahmen infolge der Wirtschaftskrise kein Geld da ist, kann man es auch nicht ausgeben, ohne den kommenden Generationen hohe Schulden zu hinterlassen, heißt es oft. Stimmt das?
Schulden sind per se nichts Negatives. Jeder private Haushalt, jedes Unternehmen nimmt Kredite auf, um zu investieren. Wenn sich jemand ein Haus baut, macht sie oder er das auch nicht ohne Schulden.
Es geht um die Frage, was wir den nachfolgenden Generationen insgesamt hinterlassen. Wenn wir unsere Infrastruktur verschleißen, unsere Schulen in einem maroden Zustand verkommen lassen, dann hat das nichts mit Generationengerechtigkeit zu tun. Die Kommunen leben schon seit 2003 auf Verschleiß, die Abschreibungen sind höher als die Investitionen, und die Infrastruktur insgesamt wird immer maroder. Von daher ist das Aufnehmen von Schulden sinnvoll, um den öffentlichen Kapitalstock zu modernisieren.
Wenn der Staat wegen der Schuldenbremse in der Krise nicht investiert, unterbleiben auch wichtige konjunkturelle Belebungseffekte.
Völlig klar. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise und der niedrigen Zinsen macht es Sinn, jegliche Zukunftsinvestitionen, die ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltig sind, vorzuziehen. Das ist wachstumswirksam, weil jede öffentliche Investition private Investitionen nach sich zieht. Laut diverser Studien sind Bildungsinvestitionen ökonomisch besonders sinnvoll. Jeder Euro für die Bildung amortisiert
sich schon nach wenigen Jahren. Zukunftsinvestitionen verbessern die Lebensbedingungen, sie sind wichtig für den sozialen Zusammenhalt, aber auch ökologisch sinnvoll. Vor allem die Klimaneutralität erfordert öffentliche Investitionen. Die Schuldenbremse ist ein Fehler, ökonomisch dumm und muss politisch korrigiert werden.
Was stellen sich der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften statt der Schuldenbremse vor?
Solange sie den Rahmen vorgibt, haben wir einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, wie das Land investieren und trotzdem die Schuldenbremse einhalten kann. Das gelingt mit einem landeseigenen Investitionsfonds. Wir nennen ihn Niedersachsenfonds oder NFonds. Dieser kann außerhalb des Landeshaushalts Kapital aufnehmen, um damit sinnvolle öffentliche Investitionen zu finanzieren.
Der NFonds erzielt aber auch Einnahmen. Damit kann er die Kosten refinanzieren, sodass es nicht zu einer unkontrollierten Verschuldung kommt. Das schafft wiederum Freiräume im Landeshaushalt zum
Beispiel für mehr Schulbeschäftigte.
Wie soll der Niedersachsenfonds seine Einnahmen erzielen?
Besonders einfach ist folgendes Beispiel: Wir als DGB fordern, mehr bezahlbaren öffentlichen Wohnraum zu schaffen, indem der Staat selber mit einer eigenen Landeswohnungsbaugesellschaft baut. Wenn der
NFonds das Geld dafür bereitstellt, werden damit Wohnungen geschaffen. Die werden vermietet, und mit den Mieteinnahmen können dann die Kredite getilgt werden. Das funktioniert auch bei anderen Investitionen, und zwar über Mieter-Vermieter-Modelle. Das heißt, der NFonds würde in Verbindung mit den öffentlichen Investitionsgesellschaften Investitionen in Form von öffentlichöffentlichen Partnerschaften etwa für eine Kommune oder öffentliche Einrichtung bereitstellen. Nehmen wir das Beispiel Schule: Wenn über den NFonds der Bau einer Schule finanziert wird, wird diese dem Schulträger zur Verfügung gestellt, der sie anmietet. Über die Mietzahlungen wird dann der Kredit getilgt. Das ist besser, als wenn finanzschwache Kommunen als Schulträger die Investition komplett selber stemmen müssten. So hat die Stadt oder Gemeinde nur eine jährliche Konzessions- oder Mietzahlung zu leisten und kann das wesentlich einfacher im laufenden Haushalt darstellen.
Auch eine Privatfirma könnte die Schule bauen und an die Kommune vermieten. Dann braucht man den landeseigenen Investitionsfonds nicht.
Man darf eine öffentlich-öffentliche Partnerschaft nicht mit einer öffentlich-privaten Partnerschaft gleichsetzen. Natürlich könnte auch ein Privater die Schule bauen lassen. Aber der würde das zu ganz anderen Konditionen anbieten als der NFonds, weil der Private eine Rendite erwartet. Das würde beim NFonds komplett entfallen. Der landeseigene Investitionsfonds könnte den Neubau zu genau den Konditionen bereitstellen, die er selber erhält. Und die Zinsen am Kapitalmarkt sind derzeit historisch niedrig. Außerdem bleibt die öffentliche Infrastruktur durch den NFonds dort, wo sie hingehört: in öffentlicher Verantwortung.
Das Gespräch führte Michael Fleischmann.