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Der Kampf um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen

Die Frauenbewegung und der § 218 StGB

Frauen haben in den vergangenen hundert Jahren in punkto Gleichberechtigung viel erreicht, und es ist wichtig, das Erreichte zu feiern. Keine Bewegung des 20. Jahrhunderts war so erfolgreich wie die Frauenbewegung. Zu Beginn des Jahrhunderts war die Frau in Deutschland ein rechtlich unmündiges Wesen und zum Ende hin immerhin auf dem Papier vollkommen gleichgestellt. Angesichts der Langwierigkeit sozialhistorischer Veränderungsprozesse ist das eine Erfolgsgeschichte. Es ist aber auch wichtig, sich keine Illusionen über das Erreichte und vermeintlich Erreichte zu machen.

„... seit 1974 dürfen sich Frauen legal für oder gegen ein Kind entscheiden“, hieß es in der Aufstellung der bisherigen Erfolge im Aufruf zum Weltfrauentag in der E&W Niedersachen. Diese Formulierung könnte so verstanden werden, als sei ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland legal, die Frau hätte die Entscheidungshoheit darüber und könnte ohne Probleme einen Abbruch bekommen. Dies ist jedoch nicht der Fall, auch wenn insbesondere viele jüngere Menschen dieser Illusion erliegen. Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nicht legal, sondern nach § 218 Strafgesetzbuch (StGB) ein Straftatbestand und mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren belegt. Er wird dort übrigens in unmittelbarer Nähe zu Mord (§ 211) und Totschlag (§212/213) verhandelt. Nur unter bestimmten Bedingungen wird die ungewollt Schwangere nicht strafrechtlich verfolgt. Dazu gehört, dass sie sich vor einem Abbruch beraten lassen muss. Diese Zwangsberatung macht aus ihr ein unmündiges Wesen, das über den eigenen Körper nicht selbst verfügen kann – wie vor über hundert Jahren.

Zur Geschichte

Der § 218 wurde 1871 bei Gründung des Deutschen Reichs zum Gesetz und bestrafte Frauen, die eine Schwangerschaft unterbrachen, mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus. Bereits die Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts kämpfte gegen den Paragrafen, was 1913 sogar zu einer „Gebärstreik-Debatte“ führte. Während der Weimarer Republik entwickelte sich eine Massenbewegung gegen das Abtreibungsverbot, erreichte aber lediglich eine Herabstufung vom Tatbestand des Verbrechens zu dem des Vergehens, so dass der Abbruch „nur noch“ mit Gefängnis bestraft wurde. Immerhin wurde erstmals eine Art medizinische Indikation unter bestimmten Voraussetzungen geschaffen. Unter den Nationalsozialisten verschärfte sich die Lage dann wieder, und ab 1943 stand auf Schwangerschaftsabbruch sogar die Todesstrafe. In der Bundesrepublik nahm die „neue Frauenbewegung“ in den 1970er Jahren den Kampf gegen den Paragrafen wieder auf. Unvergessen sind der Slogan „Mein Bauch gehört mir“ und die Kampagne in der Zeitschrift Stern „Ich habe abgetrieben“, als sich 1971 374 Frauen selbst bezichtigten und das Recht auf Selbstbestimmung für alle forderten. Im Jahr 1974 wurde dann unter der sozialliberalen Koalition eine Fristenlösung beschlossen, nach der ein Abbruch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft ohne Angabe von Gründen möglich war und die ungewollt Schwangere das selbstbestimmt entscheiden konnte. Dieses Gesetz galt allerdings nur drei Tage, weil die Unionsparteien umgehend das Bundesverfassungsgericht anriefen, welches es dann 1975 als verfassungswidrig einstufte. In der DDR galt die Fristenlösung seit 1972. Seit 1976 gab es in der Bundesrepublik die sogenannte Indikationslösung, nach der der Abbruch unter bestimmten Bedingungen wie zum Beispiel nach einer Vergewaltigung oder aus medizinischen Gründen straffrei blieb. Die Indikation mussten die Betroffenen sich bescheinigen lassen. Nach der Wiedervereinigung beschloss der Bundestag wiederum eine Fristenlösung mit Beratungspflicht. Und wieder klagten CDU/ CSU-Abgeordnete und das Land Bayern dagegen. Und erneut kippte das Bundesverfassungsgericht 1993 das Gesetz und konstatierte eine grundsätzliche Pflicht der Frau (!) zum Austragen des Kindes, denn das „ungeborene Leben“ habe Vorrang. Die Beratung müsse dem Schutz des „ungeborenen Lebens“ dienen und habe die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. Vom Recht der Frau auf Selbstbestimmung kann da keine Rede sein.

Die Problematik heute

Seither gilt die sogenannte Beratungslösung: der Schwangerschaftsabbruch ist weiterhin grundsätzlich rechtswidrig und im Strafgesetzbuch verankert, bleibt aber in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn die ungewollt Schwangere sich beraten lässt und eine Bedenkzeit von drei Tagen einhält. Seit den 1990er Jahren wurde es stiller um die Debatte. Irgendwie war es ja möglich, einen Abbruch zu bekommen, wenn auch diverse Hürden zu überwinden waren. So setzte sich bei vielen die Meinung fest, der Schwangerschaftsabbruch sei in Deutschland legal. Erst in den letzten Jahren gelangt langsam wieder ins Bewusstsein, dass neben der mühsamen Suche nach einer anerkannten Beratungsstelle und einer*m behandelnden Ärzt*in noch weitere Probleme hinzukommen. Sogenannte Lebensschützer demonstrieren vor Beratungsstellen und Praxen, die Abbrüche durchführen, und belästigen die Patientinnen. Vertreter der Neuen Rechten und sogenannte Männerrechtler recherchieren systematisch im Internet und zeigen Ärzt*innen an, weil sie angeblich „Werbung“ für Abtreibung machen, was nach § 219a StGB strafbar ist. Ärzt*innen sind nicht verpflichtet, Abbrüche durchzuführen, und sind zunehmend nicht bereit, es zu tun und sich der Gefahr von Anzeigen durch „Lebensschützer“ auszusetzen. Die Generation derjenigen Mediziner*innen, die die Kämpfe der 70er und 80er Jahre noch mitbekommen haben und aus Überzeugung Frauen in ihrer Notlage helfen wollen, geht in Rente und ausreichender Nachwuchs ist nicht in Sicht. Und: in der Mediziner*innen-Ausbildung wird der Schwangerschaftsabbruch, insbesondere schonende Methoden wie die Absaugmethode, nicht gelehrt. Er gehört nicht einmal ins Curriculum der Facharzt-Ausbildung zur/m Gynäkolog*in. Schließlich ist er ja grundsätzlich strafbar. Und da er grundsätzlich strafbar ist, gibt es auch keine Kostenübernahme durch die Krankenkassen, außer in sozialen Notlagen – was wiederum beantragt werden muss.

Die aktuelle Debatte

2017 wurde die Ärztin Kristian Hänel angezeigt, weil sie auf ihrer Webseite darüber informierte, dass – und mit welchen Methoden – sie Schwangerschaftsabbrüche durchführte und damit nach §219a StGB angeblich verbotenerweise Werbung betreibe. In einem taz-Interview vom 10. April 2018 bezeichnete ein junger „Lebensschützer“ das Erstatten von Anzeigen als sein Hobby und erklärte, in den vergangenen drei Jahren 60 bis 70 Mal Ärzt*innen angezeigt zu haben. Während bis dahin solche Anzeigen meistens von den Staatsanwaltschaften eingestellt wurden oder – bei Verurteilungen – die Ärzt*innen die Geldstrafen von einigen Tausend Euro bezahlten, wehrte sich Kristina Hänel gegen die Verurteilung durch alle Instanzen. Das Urteil wurde im Dezember 2020 endgültig bestätigt. Durch den Fall Hänel wurde der § 219a erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und auch die Debatte um den § 218 flammte wieder auf. Als besonders skandalös wird die höchstrichterliche Rechtsauslegung empfunden, wonach bereits die bloße Information auf ärztlichen Webseiten als „Werbung“ gewertet wird. Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz müssen die Länder ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen. Dies ist aus den oben genannten Gründen längst nicht mehr gewährleistet. Insbesondere der ambulante Abbruch ist in vielen Regionen aufgrund langer Anfahrtswege nicht mehr möglich. Unter der Corona-Pandemie hat sich die Lage noch verschärft. Daher geriet auch die Politik unter Handlungszwang. Oppositionsparteien forderten die Streichung des § 219, konnten sich aber nicht durchsetzen. Anfang 2019 einigte sich die Große Koalition auf einen „Kompromiss“, wonach Ärzt*innen und Einrichtungen nun auf ihren Webseiten lediglich angeben dürfen, dass sie überhaupt Abbrüche durchführen. Weitere Informationen über Methoden sind jedoch untersagt. Frauen sollen sich auf einer bundesweiten Liste der Bundesärztekammer über Näheres informieren können. Hier fragt sich: warum diese zusätzliche Hürde?! Außerdem lassen viele Ärzt*innen sich nicht auf diese Liste setzen, weil sie befürchten, von „Lebensschützern“ belästigt zu werden. Im März 2021 brachte Die Linke einen Antrag in den Bundestag ein, in dem die Regierung aufgefordert wird, „reproduktive Gerechtigkeit“ zum Regierungsziel zu erklären und die Streichung der Paragrafen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch in die Wege zu leiten. Der Antrag wurde an den Rechtsausschuss des Bundestages überwiesen.

Was zu tun ist

Der UN-Frauenrechtsausschuss CEDAW, der die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention kontrolliert, hatte schon 2017 erklärt, dass die verpflichtende Beratung und die dreitägige Bedenkfrist nicht dem Recht auf sicheren und diskriminierungsfreien Zugang zum Schwangerschaftsabbruch entspricht. Bessere Beispiele gibt es in Frankreich oder Kanada, in denen es keinerlei Bestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetz gibt. Lediglich in den Sozialgesetzen wird dort festgelegt, unter welchen Bedingungen er erfolgen kann und welche Hilfen der ungewollt Schwangeren zustehen. Der DGB forderte bereits 2019, immerhin den § 219a zu streichen. Es wird Zeit, Frauen aus der staatlich verordneten Unmündigkeit zu befreien und ihnen endlich das Recht auf Entscheidung über ihren eigenen Körper zuzugestehen, also auch den § 218 abzuschaffen. Das wird aber nicht von selbst geschehen, sondern erfordert den aktiven und engagierten Einsatz aller, denen es mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau ernst ist. Und: Kristina Hänel kann Unterstützung brauchen, wenn sie nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wird.

Irene Meyer-Herbst Landesfrauenausschuss