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„Demokratie braucht Haltung!“ - Unterrichtsmaterial gegen Stammtischparolen

Dürfen Lehrkräfte im Unterricht ihre politische Meinung sagen? „Nein“ behauptete die AfD, als sie 2018 ihre denunziationsplattform ins Leben rief. Dort sollten Eltern und Schüler*innen Lehrkräfte anschwärzen, die ihrer Meinung nach im Unterricht indoktrinierten. Denn, so die Logik, durch die Schulpflicht seien die Kinder den Lehrkräften schutzlos ausgeliefert, wenn diese das Recht ihrer Kinder auf freie Meinungsäußerung beschnitten. Die AfD drohte mit Dienstaufsichtsbeschwerden, wenn Lehrkräfte „nachweislich“ ihre Position für die Äußerung einer politischen Haltung missbrauchten.

Muss eine Lehrkraft sich also raushalten, wenn Schüler*innen menschenfeindliche Stammtischparolen im Unterricht reproduzieren? Müssen sie Angst haben, was sie sagen? Nein! Das sagten sich gleichzeitig mehrere GEW-Aktive aus der Region Hannover und bildeten eine Gruppe mit dem Namen „Demokratie braucht Haltung!“. Neben einem Logo wurden Veranstaltungen initiiert und kleinere Projekte angeschoben, um das Thema mit Mut anzugehen und unter Umständen verunsicherten Kolleg*innen den Rücken zu stärken. Im Gegensatz zu beispielsweise Hamburg hat das niedersächsische Kultusministerium hier eindeutig Haltung gegen den Vorstoß der AfD gezeigt und die Plattform wurde – auch durch die scharfe öffentliche Kritik des GEW-Landesverbandes – ein Rohrkrepierer. Es wäre vermessen, diesen Erfolg der Gruppe „Demokratie braucht Haltung!“ zuzuschreiben (sehr erfolgreich waren hier der Landesschülerrat und die großartige Gruppe „Omas gegen Rechts“), aber das eine oder andere Gespräch mit politisch Verantwortlichen hat seitens der Gruppe durchaus stattgefunden. Durch den Erfolg der Aktionen beflügelt, suchte sich die Gruppe neue Projekte, um das immer wichtiger werdende Thema in der Schule zu stützen. Die Idee war, auch zukünftig Lehrkräfte dazu zu ermutigen, das Thema „Haltung zeigen“ in ihrem Unterricht zu thematisieren. Das natürlich nicht konfrontativ mit den Schüler*innen, sondern positiv und präventiv, mit der Erfahrung, dass Vielfalt einer Gesellschaft gut tut und nicht gefürchtet werden muss. Die Idee war von Anfang an, Material in Kooperation mit dem Kultusministerium zu entwickeln, um allen Lehrkräften zu signalisieren, dass diese Form der Demokratiebildung wirklich „erlaubt“ ist – so traurig das sein mag. Aber in der Auseinandersetzung 2018 musste die Gruppe eine große Verunsicherung der Kolleg*innen erleben, die im Kontext der Aggressionen gegenüber jeglicher staatlicher Institution aus dem rechten Spektrum derzeit nicht weniger wird. Die angestrebte Kooperation der Gewerkschaft mit (immerhin) dem „Arbeitgeber“ Kultusministerium wurde auf der Landesdelegiertenkonferenz (LDK) 2019 eingebracht und von
den Delegierten positiv beschieden. 

Unterrichtsmaterial gegen Stammtischparolen

Eine Kooperation zwischen GEW Niedersachsen, Landeszentrale für politische Bildung und Kultusministerium – zu finden unter: HIER

Zeitgleich mit der GEW haben andere Organisationen ebenfalls die Relevanz des Themas erkannt und gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) eine App entwickelt, die gegen Stammtischparolen vorgeht. Sie richtet sich eigentlich an (junge) Erwachsene und ist unter https://konterbunt.de online spielbar. Sie beinhaltet ein Minispiel und ein Argumentationstraining gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die eigentliche Stärke der App ist aber, dass die Fragen und Antworten von Menschen erstellt wurden, die gern als Betroffene bezeichnet werden. Anders
formuliert: Keine der Parolen ist ausgedacht, jede ist so (oder anders formuliert) von einem Menschen erfahren worden. Dennoch: Die App selbst kann nicht unvorbereitet im Unterricht eingesetzt werden, dafür
ist sie zu sehr akademisch reflektiert und zu wenig „Spiel“. Sie kann aber hervorragend als Gesprächsanlass genutzt werden – und in ihren Inhalten Bestandteil des Unterrichts sein.

Für alle Schulformen 

Es bedurfte lediglich einer didaktischen Aufbereitung, um die App im Unterricht einzusetzen – und genau das hat die Gruppe „Demokratie braucht Haltung!“ mit dem nun fertiggestellten Material versucht. Dabei hat das Autorinnenteam alle weiterführenden Schulformen im Blick gehabt, auch weil es aus Lehrerinnen der Schulformen Hauptschule, Realschule, Gesamtschule und Gymnasien bestand. Der Einsatz in der Berufsschule ist von geneigten Kolleg*innen als praktikabel bezeichnet worden.
Nun mag festgestellt werden – also doch nicht alle Schulformen, es fehlen zum Beispiel die Grundschulen. Dazu ist zu sagen, dass die App nicht für Jüngere konzipiert ist und auch die Stunden sehr „an die Substanz“ gehen. Es gibt jedoch hierfür ebenso eine Anwendung: Etwa als Material für eine SchiLF, bei der Lehrkräfte sowie pädagogisches und therapeutisches Fachpersonal eigene Haltungen reflektieren können. Empfohlen sei hier zum Beispiel die Einheit „Familienfeier – Sek II“. Aber auch hier wie für den Einsatz in einer Lernoder Projektgruppe gilt: Die Vertrauensbasis im Team sollte vorher vorhanden sein, die „Familienfeier“ geht selbst Erwachsenen an die Substanz. Die enthaltenen Arbeitsblätter aber auch die Hintergründe sind so konzipiert, dass sie als Unterrichtseinheit oder einzeln eingesetzt werden können. Man kann die Unterrichtsstunden gemäß eingestelltem Unterrichtsverlauf mit relativ wenig Vorbereitung nutzen oder sich in das angehängte Material einlesen und die Stunden neu konzipieren. Voraussetzung
ist allerdings immer: Man sollte in der Gruppe, in der man das Material unterrichtet, unbedingt ein Vertrauensverhältnis schaffen. Als Orientierungshilfe ist dem Material eine Einschätzung zum „Grad der emotionalen Beteiligung“ jeder der Stunden sowie ein Hintergrundartikel zur Perspektive der „Betroffenen“ in der Lerngruppe mit Hinweisen „Was muss ich als Lehrer*in tun“ von Dr. Dr. Nkechi Madubuko vorangestellt.

Anne Kilian